Krankenhaus

Ein Krankenhausaufenthalt mit Appendizitis

Vor kurzem hatte ich das Vergnügen, eine sogenannte Appendizitis zu haben, oder wie man umgangssprachlich sagt: Isch hatte Blinddarm.
Das scheint ja so ein Ding zu sein, dass man einfach das Körperteil nennt, das irgendwie betroffen ist, und alle nicken danach nur wissend. »Isch hab Rücken! Isch hab Knie! Isch hab kleiner Zeh!«
Es begann am Samstagabend, nachdem meine Frau und ich eine ordentliche Portion Wurstgulasch gegessen hatten. Plötzlich hatte ich Schmerzen in der Seite, die jedes Mal, wenn ich mich in irgendeiner Form bewegte, unmissverständlich klarmachten, dass sie darauf keinen Bock hatten.
»Hab dich nicht so. Du hast dich nur überfressen«, meinte meine Frau.
Sagen wir so: Klang für mich erstmal naheliegend.
Ich ging dann auch mit Schmerzen ins Bett und hatte eine nicht ganz so tolle Nacht, denn die Schmerzen hörten nicht plötzlich auf. Ich schlief also schlecht, wachte am nächsten Tag immer noch mit Schmerzen auf und quälte mich aus dem Bett. Ich fühlte mich fiebrig und maß die Temperatur. 38°C. Nicht wirklich toll.
»Du musst einfach mal furzen oder auf Toilette, dann geht das wieder«, sagte meine Frau.
Ich dachte: Vielleicht. Wollte aber alles nicht so richtig. Zu dem Zeitpunkt ahnte ich schon, was mich erwischt hatte.
Gegen Nachmittag und einige Google-Suchen, die mir sagten, dass ich wahrscheinlich sterben würde, später, hatte ich die Schnauze voll und fuhr ins Krankenhaus.
»Wat wollen Sie?«, fragte mich die nette Dame am Empfang der Notaufnahme, nachdem ich mich die Stufen emporgequält hatte, weil irgendein Superhirn auf die tolle Idee kam, die Notaufnahme nicht ins Erdgeschoss zu bauen.
»Ich glaub, ich hab Blinddarm.«
»Ach?«
»Doch.«
»Na, hier haben Sie erstmal ein Bändchen mit ihrem Namen drauf. Wollen wir doch mal schauen, was das dann wirklich ist. Sie können ja im Wartebereich Platz nehmen.«
Derart motiviert ging ich also in den Wartebereich, der glücklicherweise relativ leer war. Es saßen nur vier Leute da, ich hatte also Chancen, vor Dienstagabend ranzukommen. Und tatsächlich, schon nach wenigen Minuten rief mich eine junge Ärztin zu sich, die von oben bis unten tätowiert war, aber vergaß, mir ihren Namen zu nennen, vermutlich weil die Beschreibung »Die hatte einen heulenden Wolf auf dem Arm« schneller zur Identifikation führen würde, als wenn ich »Die hieß Schultze oder so« sagen würde.
Ich erklärte ihr alles und sagte, ich hätte Fieber.
»38°C ist kein Fieber.«
»Okay. Dann halt erhöhte Temperatur.«
Sie steckte mir einen Temperaturfühler ins Ohr. »Nee, Sie haben keine erhöhte Temperatur.«
»Ja, dann … nicht. Schmerzen habe ich aber trotzdem.«
»Wo denn?«
»Da so …«
Ich zeigte auf die Stelle.
Häuptling heulender Wolf drückte auf mir herum.
»AAAAAAAH«, sagte ich.
»Ach, da tut’s weh?«
»Wie ich schon sagte.«
»Und hier?« Sie drückte an einer etwas anderen Stelle, aber immer noch in der Nähe.
»AAAAAAAH«, sagte ich.
»Tut weh, wa? Na, ich lege ihnen mal einen Zugang, nehme ihnen Blut ab und dann könnten sie hier noch mal ins Becherchen pinkeln.«
Sie führte mich zu einem Klo, dessen Tür nicht abgeschlossen werden konnte und dessen Fenster so sperrangelweit offen stand – und offen stehen bleiben sollte –, sodass mich die RTW-Fahrer, die davor standen und sich über Kuchenrezepte austauschten, beim Pinkeln anfeuern konnten.
Im Anschluss führte mich heulender Wolf zu einem anderen Behandlungsraum.
»Haben sie eigentlich ein Schmerzmittel genommen?«, fragte sie mich.
»Nee.«
»Warum nicht?«
»Kam mir, ehrlich gesagt, gar nicht in den Sinn. Ich hatte ja gehofft, dass es von alleine wieder weggeht.«
Sie schüttelte nur mit dem Kopf. »Männer.«
Wir erreichten den anderen Behandlungsraum, wo ich mich auf die Liege packen und abwarten sollte.
»Wollen sie denn jetzt ein Schmerzmittel?«
»Hilft das denn?«, fragte ich etwas unbeholfen, weil ich eigentlich daran dachte, ob das Schmerzmittel eventuell die Untersuchung erschweren würde.
Heulender Wolf rollte mit den Augen. »Ja, Schmerzmittel helfen.«
»So meinte ich das ni …«
»Wat denn nu?«
»Ja, bitte.«
Sie ging und ich lag keine fünf Minuten auf der Liege, bis ein Pfleger kam. »Sie können hier nicht bleiben, wir brauchen den Raum.«
»Okay, aber …«
»Können ja im Wartezimmer warten.«
Also wieder zurück ins Wartezimmer zu den anderen Gestalten, die den üblichen Gesichtsausdruck von Renaissance-Bildern teilten.
Ich wartete auf weitere Informationen und vor allem: mein Schmerzmittel.
45 Minuten vergingen.
Ich kroch vornübergebeugt zum Schalter der Notaufnahme, um nachzufragen.
»Wat?«
»Eigentlich wollte die Ärztin mir ein Schmerzmittel geben, aber …«
»Ja, ich frag mal nach.«
Ich kroch vornübergebeugt zurück zu meinem Platz im Wartezimmer.
Es vergingen weitere 45 Minuten, bis eine weitere Ärztin mich bat, ihr zu folgen. Heulender Wolf war nirgends mehr zu sehen. Ich bin mir auch sicher, dass sich die neue Ärztin vorstellte, aber ich hatte irgendwie so mit meinem Schmerzen zu tun, dass ich mir den Namen nicht merkte.
In einem neuen Behandlungsraum legte ich mich auf die Liege und im Grunde wurde ich dasselbe wie vorher gefragt.
»Wo tut’s denn weh?«
»Da so«, sagte ich und deutete auf die Stelle.
Die Ärztin drückte darauf herum.
»AAAAAAH«, sagte ich.
»Ah, da tut’s also weh.«
»Wie ich schon sagte.«
»Und was ist hier?« Sie drückte an einer anderen Stelle.
»AAAAAAH«, sagte ich.
»Ach, da also auch. Und was hier hier?« Sie drückte an noch einer anderen Stelle.
»AAAAAAH«, sagte ich erneut.
»Ach, das tut weh, ja?«
»Schon.«
»Aber eigentlich tut es da weh, ja?« Sie drückte noch mal die Stelle, die ich ihr ursprünglich gezeigt hatte.
»AAAAAAH«, sagte ich und ergänzte dann. »Genau.«
»Also der Schmerz sitzt schon eher hier, richtig?«, sagte sie und drückte die Stelle noch einmal.
»AAAAAAH«, sagte ich erneut und nickte.
»Also, scheint schon eine Blinddarmentzündung, genauer gesagt Appendizitis, zu sein. Ihre Blutwerte sagen nämlich auch, dass sie eine Entzündung haben.«
»Ach?«
»Und wenn es da weh tut«, sie drückte noch einmal auf die Stelle, weswegen ich auch noch mal »AAAAAAH« sagte, »dann ist das schon sehr wahrscheinlich.«
»Ach?«, wiederholte ich mich. »Und jetzt?«
»Muss ich mal den zuständigen Chirurgen holen. Der muss sich das noch einmal ansehen und dann entscheiden. Wollen sie in der Zwischenzeit ein Schmerzmittel?«
»Ja, bitte.«
Sie drückte mir noch einmal auf die Stelle.
»AAAAAAH«, sagte ich.
»Doch, doch. Ganz klassische Appendizitis.«
Dann ging sie heraus.
Ich lag noch eine Weile auf der Liege, bis eine weitere Ärztin kam, die sich als Chirurgin vorstellte.
»Wo tut’s denn weh?«
»Da so.«
Sie drückte die Stelle.
»AAAAAAH«, sagte ich.
»Und hier?« Sie drückte etwas daneben.
»AAAAAAH«, sagte ich.
»Und hier?« Sie drückte noch einmal an einer etwas anderen Stelle.
»AAAAAAH«, sagte ich zum wiederholten Male.
»Hm, könnte Appendizitis sein.«
»Ach?«
»Könnten auch Gallensteine sein.«
»Na, das ist jetzt mal was Neues.«
»Sollten wir im CT überprüfen. Schmerzmittel haben sie nicht?«
»Ich wollte, aber irgendwie …«
»Ich gebe mal Bescheid.«
Die Chirurgin verschwand. Bald kam eine Schwester und hängte einen Tropf an, der wohl Schmerzmittel enthielt. Es tat freilich immer noch ziemlich weh, wenn ich mich mal bewegen musste.
Einige Minuten später schob mich dann eine Schwester zum CT.
Was einem als seltener Besuch im Krankenhaus auffällt, wenn man denn mal als Patient da ist, ist, wie wenig Platz eigentlich zum manövrieren von den durchaus klobig zu nennenden Betten bleibt. Durch die Türen passen die Dinger gerade so und auch auf den Gängen steht halt dies und das, was so eine Fahrt interessant macht. Besonders, wenn man eine Krankheit hat, die auf jede Bewegung reagiert.
»Au … au … au …. au…«, machte ich, als wir über irgendwelche Bodenschwellen fuhren, die sich ein Sadist beim Bau des Krankenhauses ausgedacht hatte. Beim Fahren um eine Ecke krachte das Bett dann auch gegen eine Kante, weswegen ich zur Abwechslung auch mal »Aaaauuuuu« sagte. Am Ende landete ich aber vor der Tür zum CT und wurde an einer Stelle auf dem Flur abgestellt, die man gewisser Berechtigung das Hermsdorfer Kreuz des Krankenhauses bezeichnen konnte. Der Verkehr war jedenfalls groß und ich hatte Gelegenheit Schwestern, Ärzte und Ärztinnen bei Diskussionen zu belauschen, die sich um kesse Pfleger, blöde Klamotten oder Corona drehten, was eine Pflegerin mit »Ich kann es nicht mehr hören« kommentierte.
Es war auch die Gelegenheit einem – so schien es zumindest – besoffenen Typen ein paar Türen weiter zu hören, der mehrmals »AUA! AUFHÖREN!« brüllte, was in meinem Fall nur das Kopfkino antrieb, welches in dem Fall aus Monty Python Mitgliedern bestand, die in Verkleidung als spanische Inquisition den Mann mit flauschigen Kissen piesackten.
Endlich wurde ich in den Raum mit dem CT geschoben. Das Schmerzmittel wurde abgemacht und mir ein kokosnussgroßes Ding in Plastikfolie in die Hand gedrückt, welches eine Farbe hatte, die Verkäuferinnen auf QVC gerne als »off-white« beschreiben.
»Was soll ich damit?«
»Das ist der Hodenschutz. Den machen Sie sich um die Hoden rum und ziehen dann am besten die Unterhose drüber.«
»Aha«, sagte ich, während sich die CT-Schwester oder -Ärztin umdrehte, damit ich das Ding in Ruhe anbringen konnte. Die beiden Ärzte oder Pfleger, die hinter einer Glasscheibe saßen und mich munter weiter anstarrten, brauchten mich wohl nicht zu stören.
Ich benötigte einen Moment, um zu begreifen, wie man das Ding am besten »anbringt«. Es war relativ schwer, vermutlich weil darin irgendwie Blei verarbeitet war, um die Strahlung abzuhalten, aber biegsam und so versuchte ich irgendwie gleichzeitig meine Unterhose zu dehnen und dabei das Ding über meine Familienjuwelen zu bekommen. Das ging auch, allerdings neigte das Teil dazu, sich eigenmächtig zu schließen und dann Dinge zu drücken, die besser nicht gedrückt werden, es sei denn, man steht auf sowas. Jedenfalls hatte ich das Gefühl, dass der offizielle Name des Hodenschutzes vermutlich »Klötenquetsche 3000XL« ist.
Danach durfte ich mich dann wieder hinlegen, was mir unter viel Stöhnen auch gelang, und dann wurde mir Kontrastmittel an den Zugang angeschlossen. Immerhin will man auf den CT-Bildern ja auch etwas sehen.
Wer noch nie Kontrastmittel bekommen hat: Da läuft einem über einem Zugang das Zeug in den Arm oder wo auch immer der Zugang angebracht ist, und plötzlich hat man einen metallischen Geschmack im Mund. Es ist wirklich faszinierend, dass man Dinge, die man irgendwo hineingepumpt kriegt, schmecken oder gar riechen kann.
Und wer keine Ahnung hat, was mit CT gemeint ist: Ein Computertomograph ist ein großes, röhrenartiges Gerät, welches zwei Dinge erfüllt. 1. Es macht Bilder vom Inneren eines Körpers, ähnlich wie ein Röntgengerät, aber man sieht damit auch Weichteile, nicht nur Knochen. 2. Während des Betriebs macht es ein paar sexy Geräusche, die einem sanft ins Ohr gesäuselt werden und beruhigen sollen, Geräusche wie »Brrrrrrrrrrrrrt!«, »KLACKKLACKKLACK« oder »CHKCHKCHCK«.
Nach besagten Geräuschen durfte ich wieder aufstehen. Die Damen und Herren hinter der Glasscheibe sahen mir diesmal nicht dabei zu, wie ich an der Klötenquetsche 3000XL hantierte. Sie starrten offenbar auf mein Innerstes auf ihren Bildschirmen. Ist ja auch schön, wenn sich mal jemand für die inneren Werte interessiert.
Das Schmerzmittel wurde wieder angeschlossen und nach einem Umweg über das Hermsdorfer Kreuz wartete ich in einem Zimmer auf das Ergebnis der Untersuchung, welches auch relativ bald kam. Die Chirurgin, die mich schon vorher besucht hatte, kam herein und sagte mir, dass es tatsächlich Appendizitis war. Komischerweise musste sie mir dabei nicht mehr auf dem Bauch rumdrücken.
»Sie werden jetzt zur Station gefahren und werden dann von da zur Operation abgeholt.«
»Die Operation findet gleich heute statt?«
»Ja, natürlich.«
»Wow, okay.«
»Haben Sie Zahnersatz oder Allergien?«
»Nee.«
»Besser is es.«
Ein Pfleger schob mich von der Notaufnahme auf mein Zimmer in die Chirurgie. Diesmal zählte ich lediglich 345 Bodenschwellen und zwei Kanten. Im Zimmer angekommen hatte ich das Vergnügen mich auf die Operation vorzubereiten, d.h. Klamotten aus und super aufregende Netzunterwäsche an.
Um das etwas näher zu erklären: Man bekommt ein etwa waschlappengroßes Stück Stoff aus dünner Baumwolle, welches man aufklappen kann. Darin sind zwei Löcher für die Beine und dann zieht man sich das über den Hintern und Genitalbereich. Wenn man etwas korpulenter ist, so wie ich, sind die Abstände zwischen den Maschen so groß, dass im Grunde nichts der Fantasie überlassen wird, wenn man vor einem steht. Der Sinn der Hose hat sich mir nicht ganz erschlossen, weil im Grunde nur die Nudel weggeklemmt wird, man ansonsten aber praktisch nichts davon hat.
Kaum hatte ich die Reizwäsche an, kam erneut eine Chirurgin, um mich über die Operation aufzuklären.
»Im Grunde läuft alles gut oder sie sterben«, war kurzgesagt das, was ich von der Konversation mitbekommen habe.
»Prima«, sagte ich.
»Dann bitte hier unterzeichnen. Eine andere Wahl haben Sie im Grunde nicht.«
»Ich fühle mich bei Ihnen total gut aufgehoben«, sagte ich und unterschrieb den Zettel, den ich nicht gelesen hatte.
»Haben Sie Zahnersatz oder Allergien?«
»Das wurde ich schon gefragt. Nee.«
»Besser is es.«
Im Anschluss kam noch eine Pflegerin und drückte mir einen elektrischen Rasierer in die Hand. »Da müssten Sie mal Ihren Bauch rasieren.«
»Okay.«
»Haben Sie Zahnersatz oder Allergien?«
»Nee, immer noch nicht.«
»Besser is es.«
Also stand ich kurz darauf im Badezimmer und rasierte mir den Bauch. Als ich gerade zwei Streifen weg hatte und noch weit davon entfernt war fertig zu sein, ging die Tür erneut auf.
»So, geht los«, sagte eine Pflegerin.
»Ich bin noch gar nicht fertig«, erwiderte ich.
»Den Rest machen die im OP. Oder auch nicht. Ich bin nicht deren Mutter.«
»Ach?«
»Haben Sie Zahnersatz oder Allergien?«
»Nee, wirklich nicht. Vielleicht könnte sich das mal jemand aufschreiben.«
»Besser is es.«
»Wäre es.«
»Wat?«
»Schon gut.«
Ich wurde im Bett bis zum OP-Bereich geschoben. Die Anzahl der Bodenschwellen hielt sich in Grenzen. Dort angekommen wurde ich vom Anästhesisten begrüßt.
»Hallo! Ich werde sie gleich ausknocken!«
»Wie Mike Tyson?«
»Hm?«
»Schon gut.«
»Haben Sie Zahnersatz oder Allergien?«
»Nee.«
»Besser is es. Dann will ich sie noch darüber aufklären, was wir machen.«
»Das hatte eigentlich schon die Chirurgin.«
»Hier geht es speziell um die Anästhesie.«
»Ach?«
»Ja, im Grunde geht alles gut oder sie sterben«, sagte der Anästhesist. Zumindest war das so die Quintessenz von dem, was er sagte. »Aber Sie sind bei uns in guten Händen.«
»Beruhigend.«
»Haben Sie eigentlich Zahnersatz oder Allergien?«
Ich sah den Anästhesisten an. Er sah mich an.
»Nun, fragte er?«
»Immer noch nicht.«
»Besser is es. Hier unterschreiben.«
Ich unterschrieb den nächsten Zettel, den ich vorsichtshalber nicht gelesen hatte.
»Na, dann kann es ja gleich losgehen.«
»Wie lange bin ich weg?«
»So ca. eine Stunde. Wir machen Sie im OP wieder wach, auch wenn Sie sich hinterher vielleicht nicht mehr daran erinnern können, dass wir miteinander gesprochen haben.«
»Okay.«
Man steckte mir noch ein paar Messgeräte an Finger und Oberkörper, dann wurde mir auch schon eine Maske aufgesetzt und kurz darauf war ich weg.

Ich erwachte im OP, wo der Anästhesist mich ansah und mich mit freundlichen Augen fragte: »AHALSKDHLAKSJBBXS?«
»Garglgarglgarglbla.«, sagte ich.
»Na, dann ist ja alles in Ordnung. Ist gut gelaufen!«
Von der anschließenden Fahrt ins Zimmer, bekam ich im Grunde nichts mit. Im Zimmer selbst war ich zumindest wieder so weit auf dem Damm, dass ich noch eine Nachricht an meine Frau schicken konnte. »Alles gut gelaufen. Bis morgen.«
Es war mittlerweile so um 22 Uhr und geschafft vom Tag und der OP fiel ich in den Schlaf.

Gegen 1 Uhr in der Nacht ging das Licht an und eine Schwester kam hereingestiefelt. Ich riss die Augen auf, wusste aber nicht, wo vorne oder hinten war.
»Palim, Palim! Wir müssen mal einen Tropf anschließen.«
Mein Geisteszustand ließ in dem Moment nicht zu, dass ich eine schlagfertige Antwort gab, sonst hätte ich vielleicht gefragt, ob sie eine Flasche Pommes Fries haben will. So lag ich einfach nur da, starrte verwirrt in die Gegend und sagte: »Wa?«
»… Tropf anschließen …«
»Blblblblblbl«, war ungefähr die Antwort, die ich herausbrachte.
»Waren sie schon pinkeln?«
»Wa?«
»Ob sie schon pinkeln waren?«
»Nee, ich hab geschlafen.«
»Sagen sie mir Bescheid, wenn sie pinkeln müssen. Wir müssen das überprüfen.«
»Ach?«, sagte ich, bevor ich wieder einschlief.
15 Minuten später ging die Tür erneut auf. Die Schwester kam wieder herein. Ich riss erneut die Augen auf.
»Wat zum Teufel?«
»Anderen Tropf anschließen.«
»Wa?«
»Sie können weiterschlafen.«
»Kann ich?«
Ich fiel wieder in den Schlaf.
15 Minuten später ging die Tür erneut auf.
»Palim, Palim! Der Tropf ist fertig.«
»Okay«, sagte ich, während sie das Ding abmachte und meinen Zugang wieder schloss. Sie ging heraus und mir fielen erneut die Augen zu.
Gegen 5 Uhr ging erneut das Licht an und die Schwester kam herein. Ich brauchte gefühlt zwei Minuten, um meine Augen in eine Position zu rollen, die das Sehen möglich machte.
»Aasdhlkjalfdkja«, sagte die Schwester.
»Wat?«, sagte ich.
»Das hier sind Schmerzmittel, falls sie welche brauchen.« Sie ergänzte noch eine lange Erklärung, von der ich aber nichts mitbekam, weil es 5 Uhr morgens war und ich geistig noch im Taka-Tuka-Land.
Ich versuchte, einen Moment so weit wach zu werden, um das Gesagte überhaupt zu verarbeiten. Wirklich verstanden hatte ich aber ohnehin nichts. »Ich glaube, ich brauche kein Schmerzmittel.«
»Na, ich stelle sie ihnen hier hin. Wollen sie jetzt vielleicht pinkeln?«
»Müssen sie dabei zuschauen?«
»Nein, wir müssen bloß sehen, dass das klappt.«
»Ich kann ja mal kurz…«
Ich wuchtete mich aus dem Bett, wobei mir mittlerweile nicht mehr die eine Seite, sondern gleich drei Stellen an meinem Bauch wehtaten. Es gelang mir ein paar Tropfen rauszudrücken, konnte der Schwester per Daumen hoch signalisieren, dass alles super gelaufen war, und fiel dann wieder ins Bett. Ist auch nicht alle Tage, dass man mit anderen Leuten darüber kommuniziert, wie das mit dem Wasser lassen so ist.
»Nehmen sie ruhig die Schmerzmittel, wenn ihnen etwas weh tut.«
»Es tut ja nur weh, wenn ich mich bewege, und im Bett tue ich das ja eigentlich nicht.«
Die Schwester ließ mich wieder allein und ich sank erneut in den Schlaf.
Gegen 6 Uhr bimmelten Glocken von der Kirche, die quer über den Platz steht. Normalerweise bin ich der Meinung, dass Kirchen, Moscheen oder was auch immer ihren Quatsch machen sollen, wenn sie meinen, aber in diesem Moment hätte ich, wenn ich einen entsprechenden Ministerposten im Bundeskabinett, der so etwas zulässt, gehabt hätte, geneigt gewesen einen Luftschlag anzufordern.
Ich dröselte erneut weg.
Gegen 7 Uhr war draußen offenbar ein Auto der Stadtentsorgung Potsdam, welches den Glasmüll aus einem Container auf dem Platz vor dem Krankenhaus verteilen musste. Zumindest hörte sich das so an.
Ich war noch immer hundemüde, aber mittlerweile so oft geweckt worden, dass ich immerhin feststellen konnte, dass das Fenster nicht nur auf war und munter kalte Luft reinbrachte, sondern auch nirgends irgendwelche Vorhänge hingen, die die mittlerweile aufgehende Sonne etwas abgemildert hätten.
Plötzlich kam ein freundlicher Herr in grünen Klamotten herein.
»Guten Morgen.«
»Wenn sie meinen.«
»Herr Niedlich?«
»Ja.«
»Ich wollte nur nachfragen, was sie denn heute essen wollen. Morgens Brötchen oder Stullen?«
Zu diesem Zeitpunkt hatte ich eineinhalb Tage nichts gegessen. Tags zuvor war mir der Hunger relativ egal gewesen, denn da hatte ich andere Sorgen. Als der Mann allerdings anfing, von Brötchen zu reden, sprang sofort die Speichelproduktion an und mein Magen begann zu knurren.
»Oh ja, Brötchen bitte.«
»Herzhaft oder süß?«
»Herzhaft.«
»Und mittags? Essen sie irgendwas nicht?«
»Fisch. Und Kapern.«
Der Mann machte sich Notizen.
»Und abends Schwarzbrot, Mischbrot oder Weißbrot?«
»Ganz ehrlich: Weißbrot.«
»Zwei, drei oder vier Scheiben?«
»Ich glaube, drei Scheiben genügen.«
»Gut, das habe ich mir notiert.«
Vor meinem geistigen Auge sah ich schon zwei Brötchen mit Wurst vor mir stehen und begann zu schmatzen.
»Ach, ich sehe gerade. Heute dürfen Sie noch gar nichts bekommen. Aber ich kann Ihnen einen Tee und etwas Erdbeerjoghurt bringen.«
Meine Laune sank ein ganzes Stück, aber natürlich sagte ich ihm, dass mich das freuen würde.
Kurz darauf kam er auch mit einer Tasse Tee und einer Schale zurück, die irgendeine zähviskose Flüssigkeit in rosa Farbe enthielt und mit allergrößter Wahrscheinlichkeit von den Teletubbies gestohlen war.
»Guten Appetit!«, sagte er. Mittlerweile bin ich mir ziemlich sicher, dass er mich verarschen wollte.
Ich nahm die Schale und den Löffel und stopfte mir eine ordentliche Portion in den Mund, denn immerhin hatte ich – wie gesagt – seit anderthalb Tagen nichts gegessen. Als allerdings der Tubby-Pudding meine Geschmacksnerven berührte, wollte mein Körper in den Sitzstreik gehen.
Man hat ja gewisse Vorstellungen davon, wie etwas schmeckt, bevor man es in den Mund nimmt. Man antizipiert ein gewisses Aroma. In meinem Fall hatte ich irgendwas Erdbeeriges und Joghurtartiges erwartet. Ein Hauch Erdbeere war auch tatsächlich zu spüren. Der geschmackliche und rezeptorische Gesamteindruck, der sich mir allerdings bot, ließ mich eher glauben, dass ich gerade an einer alten Raufasertapete in den halbverfallenen Ruinen der Beelitzer Heilstätten leckte.
Mein Körper gab mir jedenfalls unterschiedliche Signale. Zum einen war da der Impuls »Gib mir bloß irgendwas zu essen!« Und zum anderen die schrillen Alarmglocken im Kopf, die mir sagten, dass wir es hier wahrscheinlich mit einem Fall für den Gerichtshof für Menschenrechte in Den Haag zu tun haben.
Ich entschloss mich, trotzdem alles aufzuessen.
Etwa eine halbe Stunde später, kam der nette Herr in Grün wieder vorbei und holte Tasse und Schale ab. »Na, hat nicht geschmeckt, wa?«, sagte er, während ich ihm mit zuckendem Auge nachschaute.
Irgendwann kam die Visite rein. Mehrere Ärzte standen um mein Bett herum und wollten meinen Bauch betrachten. Macht man auch nicht alle Tage. Irgendein Arzt, den ich vorher noch nie gesehen hatte, beschrieb meine Symptome und was man gemacht hatte und wandte sich dann an mich.
»Na, wie geht’s?«
»Ja, muss, ne?«, sagte ich, mein Hemdchen hochhaltend.
»Irgendwelche Schmerzen?«
»Nur, wenn ich mich bewege. Ansonsten ist eigentlich alles tuffig und super.«
»Na, da können wir ihnen ja noch etwas Schmerzmittel geben.«
»Schon gut, ich hab noch das aus der Nacht hier zu stehen, aber ich glaube, ich brauche das nicht.«
»Alles klar, na dann gute Besserung!«
»Könnten sie mir vielleicht sagen, wie lange ich im Krankenhaus bleiben muss?«
»Na, so zwei oder drei Tage werden es sein. Wenn alles gut läuft, sind sie eventuell Mittwoch schon wieder raus.«
»Und wann kriege ich wieder was Normales zu essen?«, fragte ich.
Der Arzt lachte nur und ging mit seiner ganzen Truppe wieder hinaus.
Ich hätte gerne ins Kissen gebissen, wenn das nicht so dünn gewesen wäre.
Fünf Minuten danach kam eine Schwester herein und wollte mir Schmerzmittel in die Hand drücken.
»Nee, ich hab noch aus der Nacht. Und ich glaube, ich brauche die nicht. Das hatte ich eigentlich auch dem Arzt gesagt.«
»Okay«, sagte die Schwester und ging wieder raus.

So etwa gegen 9 Uhr bekam ich dann einen Zimmernachbarn.
»Tach! Ich bin Thomas, 58 Jahre alt und habe Speiseröhrenkrebs.«
»Ebenfalls tach! Ich bin Sebastian, 46 Jahre alt und habe Blinddarm.«
»Ach, das macht ja der Pförtner.«
»Wenn der Pförtner ausgebildeter Chirurg ist, kann er das von mir aus machen.«
»Ich hatte jetzt Chemotherapie und Strahlenbehandlung. Das ist ganz schön scheiße.«
»Ach was?«
»Ich hab gar keine Haare mehr. Aber hier oben wächst schon wieder nach.«
»Was du nicht sagst.«
Innerhalb der nächsten Stunden hatte ich die gesamte Lebens- und Leidensgeschichte von Thomas erfahren. Ich wusste, dass seine Frau auch schwer erkrankt ist, ich wusste, dass in dem Krankenhaus, wo er vorher war, alles kaputtgespart wurde und wahrscheinlich Merkel daran Schuld hatte, ich wusste, wie oft er im Leben verheiratet war, wo seine Töchter lebten, wie das damals nach der Wende war, als die Treuhand alles kaputt gemacht hat und wie die generelle Arbeitssituation in seiner Firma ist. Er hatte lediglich vergessen, die Höhe seiner Miete oder die PIN seiner Kreditkarte zu erwähnen.
Kurz nach 11 Uhr kam dann meine Frau endlich mit ein paar Sachen für mich. Ich hatte ja im Grunde nur mich selbst mit ins Krankenhaus genommen. Sie war auch noch da, als mein Mittagessen kam, welches aus einem Tee und einer Schale rosa Pampe bestand, die ich bereits am Morgen erhalten hatte.
»Was ist das?«, fragte sie.
»Industrieschlamm«, erwiderte ich.
»Na, guten Appetit.«
Ich nahm einen Löffel voll in den Mund.
Meine Frau verzog das Gesicht, weil ich das Gesicht verzog. »Pelle?«, fragte sie.
Ich nickte.
»Nach was schmeckt das überhaupt?«
»Nach Schimmelpilzkulturen, an denen jemand mit einer Flasche Erdbeeraroma vorbeigelaufen ist.«
»Klingt ausnehmend lecker.«
Während meine Frau mir noch erzählte, wie Simon die Katze abends auf der Couch vergeblich nach mir gesucht hat, nur um sich dann auf meinem Platz zusammenzurollen, kam noch eine Schwester herein, die mir Schmerzmittel vorbeibringen wollte.
»Ich hab immer noch nicht die Pillen aus der Nacht genommen. Und ich glaube, ich brauche die auch nicht. Könnten sie das vielleicht irgendwie notieren, damit sie nicht unnötig die Tabletten verbrauchen?«, sagte ich.
»Alles klar«, sagte die Schwester.

Es wurde Nachmittag. Meine Frau war wieder weg und Thomas erzählte mir noch Details aus seinem Leben, die ich in der Form bisher von meinen besten Freunden nicht gehört hatte, noch jemals so ausführlich erzählt hätte. Ab und an musste er zu Untersuchungen oder ging rauchen, dann nutzte ich die Gelegenheit, um entweder zu lesen oder in der Mediathek die neue Staffel von »Warten auf’n Bus« zu schauen.
Dazu nutzte ich freilich das WLAN des Krankenhauses, welches mit 4 Euro am Tag nicht gerade billig war und dessen Erwerb auch unheimlich durchdacht war. Man konnte sich mit dem WLAN verbinden, um dann auf eine Anmeldeseite geschickt zu werden, wo man per Paypal zahlen konnte. Wenn man das allerdings versuchte, konnte man sich mit Paypal nicht verbinden, weil ja das Internet gesperrt war. Wer auch immer sich das System ausgedacht hatte: Bravo. Die Lösung für mich Frischoperierten war also: Aufstehen, über den Gang schlurfen, vier Stockwerke nach unten fahren, dort an einen Automaten gehen, das Internet für die kommenden Tage in bar bezahlen, denn natürlich nimmt die Maschine keine Karte, dann wieder nach oben fahren, über den Gang schlurfen und unter Stöhnen ins Bett fallen. Aber immerhin ging das Internet.
Am Nachmittag gelang es mir, auch mal kurz die Augen zuzumachen, immerhin hatte ich in der Nacht davor nur mit Unterbrechungen schlafen können. Erschwert wurde das nur dadurch, dass zwischenzeitlich irgendwelche Tropfe bei mir angeschlossen werden mussten und ich Schmerzmittel erhielt, die ich erneut dankend ablehnte.
Es wurde Abend und somit auch Zeit für das Abendbrot. Vielleicht würde ich ja ein paar Stullen erhalten, die mir am Morgen versprochen wurden. Aber eine Dame im grünen Kittel kam herein und stellte mir ein Schälchen mit rosa Pampe vor die Nase.
»Ist es das, was ich denke, was es ist?«, fragte ich.
»Was denken sie denn, was es ist?«
»Ein Kriegsverbrechen.«
»Das ist Erdbeerpudding.«
»Haben sie das mal probiert.«
»Ich weiß, es schmeckt nicht sonderlich.«
»Das ist eine Untertreibung. Geschmacklich ist es das Äquivalent zu einem schwarzen Loch. Es ist die komplette Antithese von Geschmack. Haben sie vielleicht irgendwas anderes, was sie mir geben könnten?«
»Nein, tut mir leid.«
»Dann … würde ich lieber gar nichts essen.«
»Wenn sie meinen.«
»Meine Empfehlung an den Chef. Es so hinzubekommen, dass die Geschmacksknospen die weiße Fahne schwenken, ist bestimmt nicht leicht.«
Vermutlich hatte ich mir gerade keine Freunde in der Küche gemacht, aber ich hatte das Gefühl, dass alternativ auch an der Bettdecke lutschen konnte, und in etwa denselben Effekt erzielen konnte. Hunger hätte ich ohnehin gehabt. So gehaltvoll war der Tubby-Pudding nicht, als dass ich wirklich satt geworden wäre.
Zumindest hatte ich Gelegenheit, Thomas beim Essen zuzuschauen. Ich gönnte ihm allerdings auch jeden Bissen, denn er würde am Mittwoch operiert werden und dann vermutlich für den Rest seines Lebens nicht mehr ordentlich essen können.

Die Nacht brach an. Mein Magen revoltierte. Abgesehen von zwei Portionen rosa Pampe hatte ich seit zwei Tagen nichts gegessen. Meine Hoffnung war, dass ich bald einschlafen würde und einfach den Hunger wegschlafen könnte. Denn Morgen würde ich ja bestimmt wieder normales Essen bekommen … oder? ODER?
Ich hatte gerade eine Position gefunden, die das Schlafen halbwegs möglich machen konnte, und die Geräuschkulisse des Krankenhauses irgendwie ausgeblendet, als die Tür aufgerissen wurde.
»Hallo Herr Niedlich. Ich will nur noch mal einen Tropf anschließen.«
Ich schaute auf die Uhr. Es war kurz nach zwölf in der Nacht. »Warum muss das eigentlich mitten in der Nacht gemacht werden?«
Die Krankenschwester zuckte mit den Schultern. »Sie sollen das dreimal täglich bekommen und der Takt ist so vorgegeben.«
»Aber könnte man das nicht auch schon um 22 Uhr oder so machen, dann müsste man nicht noch um zwölf …«
Die Krankenschwester zuckte erneut mit den Schultern.
»Ja, jut, wäre das auch geklärt«, sagte ich.

An dieser Stelle kürze ich etwas ab, was in dieser Nacht passiert ist:

  • Ich ging irgendwann noch einmal raus, um mir den Tropf abnehmen zu lassen. Ein etwa zwei Meter großer Kerl mit einem Körperbau, der Superman neidisch machen würde, kam lediglich in Unterhose bekleidet auf den Flur stolziert, um zu erklären, dass sein Blasenkatheter undicht ist und er gerade von seinem Bett durch die halbe Station eine Spur hinterlassen hatte.
  • Mein Zugang wurde entfernt, weil der irgendwie nicht mehr gut war.
  • Mein Zimmernachbar stand mitten in der Nacht auf, um Pinkeln zu gehen, weswegen ich natürlich wieder hochschreckte.
  • Ein Auto fuhr in der Nähe herum und war offensichtlich der Meinung, dass man mitten in der Nacht ein Krankenhaus mit 90er Jahre Gangsta-Rap beschallen müsste.
  • Mir wurden Schmerzmittel angeboten, obwohl ich die schon mehrmals abgelehnt hatte.

Zusammengefasst: Ich schlief relativ wenig in der Nacht und gegen sechs Uhr morgens ging es mit dem Unterhaltungsprogramm im Krankenhaus weiter.

Die Schwester mit dem Frühstück kam vor der Visite. Statt der der rosa Pampe, bekam ich gelbe Pampe.
»Guten Appetit!«
»Das meinen sie nicht wirklich so, oder? Kann ich vermuten, dass das im Grunde die rosa Pampe ist, die jetzt nur eine andere Farbe hat?«
»Schon.«
»Hmmh.«
»Schmeckt nicht?«
»Wie stehen Sie geschmacklich zu Rollrasen?«
»Ich kann ihnen etwas Zucker reinmachen.«
»Das wäre … immerhin etwas«, sagte ich. »Vielen Dank.«
Sie ging heraus und kam noch einmal herein, um mir eine Menge Zucker in die Pampe zu schütten, der vermutlich meine Hausärztin Schweißperlen auf die Stirn getrieben hätte.
Ich rührte den Zucker ordentlich unter und nahm einen Bissen. Es schmeckte immer noch so, als hätte ich vom Fußabtreter genascht. Nur süßer.
Kurz darauf kam die Visite. Diesmal führte eine Ärztin den Pulk an.
»Na, wie geht’s uns denn?«
»Wie es Ihnen geht, weiß ich nicht. Ich fühle mich eigentlich prima, nur drückt es natürlich, wenn ich mich bewege.«
»Brauchen Sie Schmerzmittel.«
»Nein, eigentlich nicht. So schlimm ist es nicht. Was ich bräuchte, wäre was zu essen. Ich kriege nur das da.« Ich zeigte auf die gelbe Pampe.
»Warum kriegen Sie das denn?«
»Ich dachte, das wäre so verordnet?«
»Nee, sie können doch normal essen.«
Ich wusste einen Moment lang nicht, ob ich Aushulken und eine Kleinstadt in Schutt und Asche legen oder die Ärztin küssen sollte. »Könnten Sie der Essensschwester dann vielleicht sagen, dass ich gerne irgendwas anderes hätte?«
»Ja, machen wir.«
Vielleicht habe ich in diesem Moment eine Becker-Faust gemacht. Vielleicht auch nicht. Auf jeden Fall kam ein paar Minuten später die Schwester, die sich um die Essensverteilung kümmerte, wieder herein und brachte mir zwei Brötchen mit Butter und Wurst. Als ich den ersten Bissen nahm, meinte ich, dass irgendwo ein Chor »Halleluja« aus dem »Messias« von Händel sang.
Ich hatte seit zweieinhalb Tagen nichts oder fast nichts gegessen und hatte den Eindruck, dass Brötchen die tollste Sache auf der Welt sind. Eigentlich keine Zeitspanne, die irgendwie der Rede wert wäre. Ich fragte mich, was Leute, die wirklich und über viel längeren Zeitraum hungerten, wohl dazu sagen würden. »Idiot«, vermutlich.
Viel Zeit mit diesen Gedanken hatte ich nicht. Eine Schwester unterbrach mich, als sie hereinkam und mir Schmerzmittel in die Hand drücken wollte.

Ein weiterer Tag im Krankenhaus verging. Der Rest von »Warten auf’n Bus« wurde geschaut, Mittag gegessen und beim Abendbrot frohlockt, weil eine Tomate auf dem Teller lag. Ich schrieb meiner Frau, dass sie unbedingt noch einkaufen gehen müsste, damit wir Tomaten im Haus haben, wenn ich zurückkomme. Sie schrieb zwar eine nette Antwort, aber im Subtext meinte ich »Hast du sie eigentlich noch alle?« herauslesen zu können.
Da man mir in der Nacht zuvor den Zugang entfernt hatte, musste natürlich ein neuer gelegt werden. Die Antibiotika, die man mir per Tropf zuführte, wollten ja irgendwie in den Körper. Dummerweise schien mein Körper, der schon fünf oder sechs Stellen hatte, an denen man man mir Nadeln hineingeschoben hatte, zu sagen: »Ey, also unterstützen tue ich das nicht mehr.«
Die Ärztin, die mir einen Zugang legen wollte, hatte also arge Probleme, ein Blutgefäß zu finden, weswegen sie gleich weitere drei Male zustechen musste und ich an den Armen langsam aussah, wie ein Junkie, der im Bahnhofsklo vor sich hinsabbert. Das Krankenhauspersonal schien auch diese Karriere für mich vorzusehen, denn ich wurde weitere drei Male gefragt, ob ich denn nicht Schmerzmittel haben möchte.
In der Nacht war ich mittlerweile vorbereitet. Ich wusste, dass gegen zwölf in der Nacht noch einmal eine Krankenschwester käme, um mir ein paar Tropfe anzuhängen. Vorsichtshalber sagte ich auch noch einmal, dass ich kein Schmerzmittel brauchte, weswegen ich erst am nächsten Morgen erneut Schmerzmittel hingestellt bekam.
Bei der Morgenvisite konnte ich endlich fragen, ob ich denn entlassen werden könnte, und tatsächlich sprach wohl nichts dagegen. Es mussten nur noch ein paar Zettel ausgefüllt werden, oder so. Gegen Mittag konnte ich dann tatsächlich gehen, während mein Zimmernachbar zu seiner Speiseröhren-OP gefahren wurde.
Angezogen stand ich endlich vor dem Schwesternzimmer, um die Papiere abzuholen. Man drückte mir die Zettel in die Hand, die ich als Nachweis brauchen würde, und eine lange Plastikpackung.
»Ist das, was ich denke, was es ist?«
»Das ist Schmerzmittel, falls sie welches brauchen.«
Ich wischte mir mit der Hand über die Stirn, atmete tief durch und wünschte allen einen schönen Tag.