Geschichten zum Tag: 31.10. – Reformationstag
Den meisten Leuten in deutschsprachigen Ländern – zumindest denen, die in der Schule nicht geschlafen haben – dürfte bekannt sein, was am Reformationstag geschehen ist.
»Dat is doch, wo dem Luther seine Prothesen anne Tür genagelt hat, wa?«
Ja, so ungefähr, Günni. Aber nicht ganz!
An dem Tag gedenkt man tatsächlich dem Beginn der Reformation, weil Martin Luther am Tag vor Allerheiligen im Jahre 1517 angeblich an eine Kirchentür in Wittenberg eine Schrift mit 95 Thesen angeschlagen hat. Ganz wichtig: Thesen – ein anderes Wort für »Behauptung« – nicht Prothesen. Luther hat da also nicht irgendwelchen Zahnersatz oder künstliche Beine an die Tür genagelt. Wenn er da überhaupt irgendwas genagelt hat, denn ob das überhaupt so stattfand, weiß man nicht wirklich. Erst 30 Jahre später haben Leute das behauptet.
Jedenfalls hat Luther diese 95 Thesen veröffentlicht. Auf Latein. Damit auch Otto Normalwittenberger auf die Tür mit den Thesen starren und mit Fug und Recht behaupten konnte: »Wat?«
Aber was war überhaupt Luthers Problem? Wogegen kämpfte er an?
Luther hatte ein Problem mit dem Ablasshandel, der seit einiger Zeit extrem grassierte. Im Grunde konnte irgendwer zur Kirche gehen und sagen »Meen Vadda war ne alte Sau, aber im Fegefeuer sollte er nich hocken. Hier habta Geld, damit er in den Himmel kommt.«
Man kennt das ja, diese richtig bekannten Bibelpassagen, in denen Gott sagt, dass man ihn mit Geld bestechen kann, damit irgendwer nicht in die Hölle kommt. Ganz im Gegensatz zu denen, wo er einen Tobsuchtsanfall kriegt und irgendwelche Leute umbringt. Aber ich schweife ab.
Die Kirche hatte mit den Ablässen so viel Geld gemacht, dass man mittlerweile zu schön gedruckten Ablassbriefe übergegangen war. Da musste der Schreiber nur noch die Namen eintragen und litt somit nicht mehr an Krämpfen in der Hand. Wie Johann Tetzel, der Typ, der am meisten mit den Ablässen handelte, auszudrücken pflegte: »Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele aus dem Fegefeuer springt!« Wahrscheinlich schob er noch »Der nächste Bitte!« hinterher.
Ein Nebeneffekt der Ablassbriefe war, dass immer weniger Leute zur Beichte gingen. Die Leute dachten sich halt »Wat soll ick dem fetten Typen im Talar meinen janzen Scheiß erzählen und nen halben Tag um Buße beten, wenn irgendwer mich von meinem Sünden freikaufen kann?«
Und Luther, dem keiner mehr die schönsten und dreckigsten Geschichten erzählte, sagte »Ey, Moment mal! Nich mit Maddin!«
Es gab noch ein paar andere Dinge, die schon eine Weile eine Menge Leute an der Kirche, speziell dem Papsttum, störten. Insofern vielen Luthers Thesen auf fruchtbaren Boden, als er darin, allgemeinverständlich zusammengefasst, sagte: »Dit mit dem Ablasshandel funktioniert nicht so, wie der Papst behauptet. Dafür is Jesus nich am Kreuz gestorben, ma sag’n! Außerdem soll die reiche Sau von Papst gefälligst selbst den Bau der Peterskirche finanzieren, statt den Leuten mit falschen Versprechungen dit Geld auszupressen!«
Denn der Ablasshandel war im Grunde nur eine Möglichkeit, mehr Geld nach Rom zu schicken, um den Bau des Petersdoms zu bezahlen. Luthers Forderung mit dem Quatsch aufzuhören gefiel deswegen auch ein paar Kurfürsten oder ähnlichen Leuten, die was zu sagen hatten, denn wenn die ganze Kaufkraft aus den Landstrichen verschwindet, die man so verwaltet, dann kann man schon mal ungehalten werden. Das Ganze hatte also nicht nur eine kirchenrechtliche Komponente, sondern auch eine wirtschaftliche.
Aber man hatte ja in der Vergangenheit auch Kirchen gebaut. Warum war nun ausgerechnet der Petersdom so teuer? Warum baute man nicht einfach eine kleinere Kirche? Warum musste es die größte, ausgefallenste, prächtigste Kirche überhaupt sein?
Und da kommen wir zum amtierenden Papst dieser Zeit, Giuliano della Rovere, besser bekannt als Julius II.
Julius II. war ein recht patenter und potenter Mann. Letzteres ist zumindest dadurch belegt, dass er 1483 eine uneheliche Tochter zeugte. Da war er schon Kardinal, sollte also eigentlich keusch sein. Soweit dazu. Auch während seiner Papstzeit soll er noch ordentlich rumgeschnackselt haben. Er trieb es zwar nicht ganz so bunt wie sein Vorgänger Alexander VI., aber es kann ja nun nicht jedem Papst nachgesagt werden, ein Verhältnis mit der eigenen Tochter zu haben.
Seinen Papsttitel bekam Julius II. wie eine ganze Reihe von Päpsten schon vor ihm, und zwar durch die gute alte Bestechung. Ansonsten war er eher der wenig umgängliche Typ. Er führte eine Reihe von Kriegen, hatte schon mal den ein oder anderen Wutanfall und schaute selbst auf Portraits so, als hätte man ihm gesagt, dass seine liebste Fernsehserie gerade gecancelt wurde. Im Grunde könnte und sollte man vielleicht über ihn mal einen längeren Text schreiben, aber ich will mich hier mal kurzfassen. Es sollte jedenfalls klar sein, dass er vielleicht nicht der beliebteste aller Päpste war, auch wenn er durch die Maßnahmen, die er in der Kirche durchsetzte, gerne als »Retter« der Kirche betitelt wird. Ironischerweise ist er aber auch einer der wesentlichen Gründe dafür, dass sich die Protestanten von der katholischen Kirche abspalteten. Denn Julius II. hielt sich gelinde gesagt für »den Geilsten«. Und weil er sich für den Geilsten hielt, war er der Meinung, dass die alte Peterskirche in Rom eben nicht geil genug für ihn war.
»Passt ma uff, Leute!«, sagte er. »Hier die kleene Klitsche könnt ihr vergessen! Wenn ich irgendwann mal den Löffel abgebe, werde ich ja wahrscheinlich wie alle Päpste hier beerdigt. Aber weil ich der Geilste bin, muss natürlich mein Grabmal monumental sein. Und wenn mein Grabmal monumental ist, muss auch die Kirche drumherum nach wat aussehen. Also klatscht mir da mal so ein Riesending hin, wo gleich allen die Stulle aus’m Maul fällt, wenn se dit Ding sehen.«
Und für dieses Riesending hatte die Kirche eben nicht genug Geld. Deswegen der Ablasshandel. Deswegen der genervte Martin Luther und die genervten Kurfürsten. Und deswegen letztlich die Reformation und die Trennung der Kirche in Katholiken und Protestanten.
Der Kicker ist natürlich, dass Julius II. irgendwann sein Grabmal bekam. Das steht in einer ganz anderen Kirche. Er selbst liegt im Petersdom unter einer schlichten Marmorplatte begraben. Eines der am wenigsten imposanten Gräber in der Kirche.
Und Martin Luther konnte am Ende doch noch was nageln, nämlich seine Frau, die er sich nehmen konnte, nach dem die Kirche ihm sagte »Geh doch, wo du wohnst.«
Der Reformationstag ist also das Gedenken an einen Typen, der sich für den Geilsten hielt, weswegen ein anderer Typ wütend wurde, aber am Ende geil werden durfte. Zumindest mit seiner Frau. Ansonsten war der Luther ja auch eher … schwierig, aus heutiger Sicht. Stichwort: Antisemitismus.
Schon faszinierend, dass man es bei Geschichten rund um die Kirche in den seltensten Fällen mit sympathischen Menschen zu tun hat. Aber immerhin kann man sich über einen freien Tag freuen.