Sebastian Niedlich

Jahrestag der Gründung des Kongo-Freistaats am 01. Juli

Heute, in Zeiten von »Black Lives Matter« und dem neuen internationalen Sport »Schmeiß die Statue vom Sockel«, gibt es hin und wieder etwas Aufmerksamkeit für den ehemaligen König von Belgien, Leopold II. Der gründete nämlich heute vor 135 Jahren, am 01. Juli 1885, den Kongo-Freistaat. Und was da passierte ist etwas, was man im Gegensatz zu vielen anderen Dingen tatsächlich mit dem Holocaust im Zweiten Weltkrieg vergleichen kann.

Setzt euch hin, nehmt euch einen Keks, trinkt einen Kaffee oder Tee … das dauert jetzt einen Moment. Und ist nicht lustig. Eine kleine Geschichtsstunde …

Im 19. Jahrhundert waren viele europäischen Staaten der Meinung, dass sie irgendwo auf der Welt, wo Leute wohnten, die eine dunklere Hautfarbe als sie selbst hatten, den Menschen mal ordentlich Kultur und Christentum nahebringen mussten, egal ob vor Ort schon eine andere Kultur oder andere Religionen existierten. Großbritannien gelang es so, sich praktisch auf der ganzen Welt als Arsch aufzuführen, und manche anderen Staaten dachten: »Toll, das wollen wir auch!«

Leopold II. von Belgien kam 1865 auf den Thron. Als König hoffte er, dass er sein Land mal richtig voranbringen könnte, aber da es sich um eine konstitutionelle Monarchie handelte, sagte das Parlament ganz gerne: »Leo, jetzt chill doch mal. Wir machen das schon.« Seine Politik setzte sich also nicht so richtig durch. Und sein größter Wunsch war es, dass Belgien ebenfalls eine Kolonialmacht werden würde, weswegen das Parlament meinte: »Bursche, wer soll den Scheiß denn bezahlen?«
»Na, ich!«, sagte Leopold, der zu dem Zeitpunkt einer der reichsten Menschen der Erde war, weil er u.a. mit Anteilen des Suezkanals spekuliert hatte.
Das Parlament war trotzdem nicht beeindruckt. »Wenn du die Knete hast, dann kannst du ja dein Privatvermögen dafür einsetzen, aber lass uns als Staat da raus.«
Und Leopold grübelte kurz und sagte dann: »Okili dokili!«

1866 sagte er dem belgischen Botschafter in Madrid: »Ey, fragt mal die Königin von Spanien, ob die mir nicht die Philippinen verkaufen will«, woraufhin der Botschafter sagte … eigentlich sagte er nichts. Er fand die Idee bescheuert und hielt lieber die Klappe, weswegen die Sache mit den Philippinen irgendwie im Sande verlief.

1876 finanzierte Leopold eine internationale Konferenz, in der er mehr oder weniger sagte: »Leute, um Afrika sollte man sich mal kümmern und da den Fortschritt hinbringen. Und ganz viel Philanthropie.«
»Wat?«
»Menschenliebe.«
»Ach so. Ja, das klingt eigentlich ziemlich dufte. Vielleicht solltest du da mal Expeditionen und so weiter organisieren.«
Und Leopold grübelte kurz und sagte dann: »Okili dokili!«

1878 gründete Leopold das« Komitee zur Erforschung des oberen Kongo«, deren offizielle Mission wissenschaftlicher und philanthropischer Natur war. Dem Leiter der Expedition, Henry Morgan Stanley, gab er aber insgeheim zu verstehen, dass er Land erwerben und Elfenbein mitbringen sollte. »Der ganze Quatsch finanziert sich ja nicht von alleine, da will ich wenigstens einen Gegenwert haben.«
Stanley fuhr daraufhin in den Kongo, gründete einige Siedlungen, darunter die heutige Hauptstadt Kinshasa, die damals aber noch unter dem Namen Leopoldville lief, und verarschte einige Häuptlinge mit einem Brennglas-Trick, weswegen die dachten: »Der Typ beherrscht sogar die Sonne, da sollten wir ihm lieber unser Land überschreiben.«
Genau dafür gründete Leopold dann 1879 die »Internationale Kongo-Gesellschaft«, der alle diese Landstriche überschrieben wurden und deren alleiniger Anteilseigner er selbst war.

1884 und 1885 fand dann die Berliner Konferenz statt, die auch als »Kongokonferenz« bezeichnet wird. Im Grunde wollten da alle Staaten klären, wer auf was in Afrika Anspruch hatte. Das war zwar in weiten Teilen schon vorher klar, aber zumindest gab das dem Ganzen einen offiziellen Anstrich. Natürlich wurden die Afrikaner dabei nicht gefragt, denn … die konnten ja froh sein, dass sie zumindest nicht mehr als Sklaven verschifft wurden. So blieb eigentlich nur Äthiopien als einziges afrikanisches Land übrig, welches vollkommen selbstständig war. Und auch das nur für kurze Zeit. Aber viel wichtiger: Die »Internationalen Kongo-Gesellschaft« wurde als Besitzer des Kongo-Gebietes bestätigt. Genaugenommen hatte man Leopold II. den Privatbesitz eines Staates zugesprochen, der ungefähr siebzig Mal so groß war, wie das Land, von dem er König war.
Und Leopold grübelte gar nicht erst, sondern sagte gleich: »Okili dokili!«

Am 01. Juli 1885 gründete er den Kongo-Freistaat und begann damit, im Land Infrastrukturen aufzubauen. Das kostete natürlich alles ein Höllengeld, weswegen er von der belgischen Regierung einige Kredite bekam, weil die vermutlich dachten: »Mist, wir können ja wohl kaum unserem König einen Kredit verwehren, oder?«. Außerdem brachte das irgendwie die Unabhängigkeit des Kongo-Freistaats doch ein wenig ins Wanken, aber wollen wir mal nicht kleinlich sein.
Problematisch war auch, dass die Wirtschaft im Land eigentlich auf Tauschhandel basierte, was ihm bei der Steuererhebung aber irgendwie nicht half. Also sollten die Kongolesen ihre Steuern in Naturalien bezahlen, was größtenteils in Elfenbein erfolgte und so ziemlich alle Handelsnetze, die man im Kongo mal aufgebaut hatte, kaputtmachte. Leopold gab allen möglichen Firmen die Erlaubnis, im Kongo-Freistaat tätig zu werden, allerdings mussten sie hohe Steuern zahlen, denn … das Geld muss ja irgendwo herkommen.
Irgendwo an dieser Stelle, sollte man wohl mal ein »Yay, Kapitalismus!« fallen lassen.

Glücklicherweise für Leopold, unglücklicherweise für die Bevölkerung, hatte Jahre zuvor Charles Goodyear ein Patent für die Vulkanisierung von Gummi erhalten. Gummireifen waren sehr gefragt und deswegen auch der Rohstoff Kautschuk, den es im Kongo in Massen gab. 1888 erfand John Dunlop noch dazu den Luftreifen, der die Nachfrage nach Kautschuk noch einmal steigerte. Was machte also Leopold? Er schickte seine Truppen, also praktisch eine Privatarmee, in die Dörfer und ließ den Leuten befehlen, Kautschuk zu sammeln, sonst würden ihre Hütten abgebrannt werden. Wer deswegen zu fliehen versuchte, sollte erschossen werden. Die Firmen, die gekommen waren, um im Grunde ebenfalls den Kautschuk auszubeuten, machten praktisch dasselbe.
Es gab dabei aber ein Problem: Munition ist teuer und viele der Soldaten jagten einfach so gerne irgendwelche Tiere. Um also sicherstellen zu können, dass mit seiner Munition auch tatsächlich Menschen getötet worden waren, mussten die Soldaten zum Beweis die Hände der erschossenen Menschen vorlegen. Und diese Hände gammelten schon mal, bis der zuständige Beamte mit dem Zählen hinterherkam. Also wurden sie geräuchert, um sie haltbar zu machen.

Einige der Soldaten wollten aber trotzdem jagen. Um zu beweisen, dass sie die Munition aber nicht bei einer Jagd verschwendet hatten, hackten sie eben lebenden Menschen die Hände ab. Und weil das so viel Spaß machte, hackten sie auch gleich noch Leuten die Hände ab, die ihrer Meinung nach nicht genug Kautschuk gesammelt hatten. Es gab also jede Menge Leute, deren Arbeitskraft irgendwie geringer ausfiel, weil sie plötzlich 50% weniger Arbeitsmittel hatten. So vielleicht die nüchterne Betrachtung eines der damaligen Leute. Einige verstanden, dass man die Sache mit dem Abhacken von Händen vielleicht etwas einschränken sollte. Die einigten sich dann darauf, dass es stattdessen auch Nasen tun würden, damit die Arbeiter weiter arbeiten konnten.
Natürlich waren damit die Ungeheuerlichkeiten nicht erschöpft. Manche Arbeiter wurden kopfüber von Bäumen gehängt und dem Tod überlassen. Anderen wurden die Beine durchbohrt oder bis zur Bewusstlosigkeit ausgepeitscht. Was man z.T. mit den Geschlechtsteilen machte, wird hier mal außen vor gelassen.

Warum ging gegen diese Greuel niemand vor? Nun … es gab praktisch keine rechtlichen Strukturen in diesem Land, welches ungefähr die Größe Westeuropas hatte. Irgendein Hanswurst aus Belgien wurde in den Kongo versetzt, hatte mit der Hitze, der Feuchtigkeit, allerlei Krankheiten wie Malaria und einer ziemlich angepissten Bevölkerung zu tun, was bei ihm Ängste auslöste … da fängt der ordentliche Kleinbürger schon mal an durchzudrehen und sich gewissen Allmachtsfantasien hinzugeben. Hilft natürlich auch, wenn man sich generell für etwas Besseres hält, nur weil man eine andere Hautfarbe hat.
Und all die anderen Länder? Nun, die bekamen schlichtweg gar nicht mit, was in dem Land vorging. In dieser Zeit vor Flugzeug, Fernschreiber und Internet waren Nachrichten aus dem Dschungel halt relativ selten. So konnte die Gewalt über Jahre im Kongo ausgeübt werden. Und abgesehen von den vielen abgehackten Händen sorgte der Drang, möglichst viel Kautschuk zu gewinnen, auch dafür, dass die Bevölkerung kaum noch Zeit hatte sich um die Felder zu kümmern. Anders ausgedrückt: Wer nicht ohnehin seine Hand verlor und nicht mehr ordentlich arbeiten konnte, bekam sowieso nichts mehr zu essen.

In den 1890er Jahren kam dann der englische Schriftsteller Joseph Conrad in den Kongo und schaute sich das Ganze an. Er schrieb daraufhin das Buch »Herz der Finsternis« (»Heart Of Darkness«), welches Jahre später übrigens als Vorlage für den Film »Apocalypse Now« von Francis Ford Coppola diente. Die in dem Buch beschriebenen Greueltaten sorgten dann europaweit für Entrüstung. Gleichzeitig kamen auch ein paar Leute auf die Idee, sich mal anzuschauen, was für Waren eigentlich aus und in den Kongo geliefert wurden. Aus dem Kongo kamen Elfenbein und Kautschuk, in den Kongo wurden nur Waffen, Ketten und Sprengmaterial verschifft. Es war also klar, dass da irgendwas nicht optimal lief. Missionare äußerten sich ebenfalls kritisch. Der Journalist und Autor Edmund Dene Morel, der in dem Zuge die erste große Menschenrechtsbewegung begründete, führte einen langen Kampf in den Medien gegen Leopold II.
1903 schickte Großbritannien dann mal jemanden in den Kongo, der schauen sollte, ob Morel Blödsinn redete oder ob das wirklich alles so stimmte. Und derjenige kam zurück und sagte: »Alter …«
1905 veröffentlichte Mark Twain, der Autor von u.a. »Tom Sawyer«, eine Streitschrift namens »König Leopolds Selbstgespräch«, in dem er die Öffentlichkeit quasi über die Greueltaten informierte. Er forderte darin sogar einen internationalen Gerichtshof, der König Leopold II. wegen seiner Verbrechen zum Tode verurteilen sollte.
Im Grunde sagte die ganze Welt zu Leopold »Du blödes Arschloch …«. Die belgische Regierung verabschiedete ein Gesetz, das vorsah, dass der Staat Belgien ihm den Kongo-Freistaat abkauft und es in eine Kolonie umwandelt.
Darauf sagte Leopold dann 1908 notgedrungen: »Okili dokili.«
Im Belgisch-Kongo wurde die Zwangsarbeit abgeschafft, ein Rechtssystem eingeführt, aber sagen wir mal so … wirklich toll wurde es deswegen dort trotzdem nicht und die Zwangsarbeit ging trotzdem noch eine Weile weiter.

Man geht davon aus, das zwischen 1885 und 1905 von ursprünglich etwa 25 Millionen Einwohnern nur etwa 15 Millionen übrig blieben. Durch Spätfolgen hatte der Kongo 1924 sogar nur noch 10 Millionen Einwohner. Zu seiner Zeit gaben ohnehin schon viele Leute ihm die Schuld für den Tod oder das Nicht-Vorhandensein von rund 15 Millionen Menschen, da die Bevölkerung des Kongos in der Zeit ja normalerweise gewachsen wäre.
Zum Vergleich: Im Ersten Weltkrieg starben rund 9,5 Millionen Soldaten. Die Opfer des Holocaust werden mit rund 6,3 Millionen Juden angegeben.

Wie wurde Leopold II. für seine Taten bestraft?
Er hat rechtzeitig Geld beiseitegeschafft, damit er nicht bankrott ging. Einen Prozess gegen ihn hat es nicht gegeben.
Er starb 1909 als längster amtierender König von Belgien, nach 44 Jahren Amtszeit. Kurz nach seinem Tod begann dann das große Vergessen. Wirklich auseinandergesetzt hat man sich mit seinen Taten danach nicht mehr. Stattdessen stehen noch heute etliche Statuen zu seinen Ehren in Belgien. Allerdings gibt es dagegen immer mehr Widerstand. Man stelle sich nur mal vor, dass in Deutschland noch immer Statuen von Adolf Hitler auf öffentlichen Plätzen ausgestellt wären. Undenkbar. In Belgien? An der Tagesordnung.

Einen kleinen Trost gibt es allerdings. Bei seinem Trauerzug wurden seine sterblichen Überreste von der belgischen Bevölkerung ausgebuht.

Neues Video: „Rattengift und Brandy: Der Marathon bei den Olympischen Spielen 1904“

Und wieder eine neue Geschichte aus meinem bisher unveröffentlichten Buch über Kuriositäten in der Geschichte. Darin geht es um die merkwürdigen Geschehnisse bei den Olympischen Spielen 1904, vor allem den Marathonlauf. Ich wünsche viel Spaß!

Überarbeitete Website

Hallo!

Alles neu macht der … äh, Juni. Obwohl die Website noch fast genauso aussieht wie letzte Woche, hat sich doch einiges getan. Die Seite mit den Geschichten ist etwas übersichtlicher gestaltet und ganz generell funktioniert jetzt auch mal alles hinter den Kulissen, was im Grunde heißt: Ich kann jetzt auch tatsächlich mal wieder neue Dinge eingeben. Das ging nämlich vorher nicht mehr. Also schaut euch um, habt viel Spaß und hoffentlich tut sich jetzt etwas mehr auf der Seite.

Beste Grüße,
Sebastian

Lesung der Kurzgeschichte „Noah soll ein Boot bauen“

Heute gibt’s mal wieder eine kleine „Bibelgeschichte“ bzw. das, was eigentlich in der Bibel hätte stehen sollen… „Noah soll ein Boot bauen“: 

Der Keller meiner Mutter

Anthropologisch wird der Mensch der Frühzeit oft in Jäger und Sammler eingeteilt, und es ließe sich darüber streiten, ob man die Menschheit bis heute in einer ähnlichen Form klassifizieren könnte. Heutzutage leben Jäger und Sammler aber eigentlich eher in Personalunion und die hervorstechendste Subspezies des Homo sapiens in dieser Hinsicht ist der Flohmarktgänger. Mit anderen Worten: Ein Jäger der Schnäppchen und Sammler von Tinnef und altem Scheiß, den man eigentlich nicht braucht. Und ich selber stamme aus so einer Familie von Jägern und Sammlern.

Schon vor meiner Geburt waren meine Eltern wohl der Sammelleidenschaft erlegen. Gerade mein Vater hatte eine Plattensammlung, die man mit Recht „stattlich“ nennen konnte. Gemeinsam hatten sie wohl einen Faible für Bücher, wobei ich nicht Romane meine, sondern Bücher, die sich sachlich mit allen möglichen Themen auseinandersetzen. Das half mir später in der Schule, da ich als prä-Internet-Kind kaum mal eine Bibliothek bemühen musste. Wir hatten ja alles daheim. Ich brauchte nur meine Eltern zu fragen, die mir dann sagen konnten, dass wir in da in der obersten Reihe, so mittig neben den in Leder eingebundenen Asterix-Bänden, ein Buch über kanadische Holzfäller hatten. Nein, mir ist auch bis heute nicht klar, weswegen wir a) ein Buch über kanadische Holzfäller hatten und b) ich ein Buch über kanadische Holzfäller brauchte. In der Regel gaben sie mir die gesuchten Bücher herunter, wobei der Kommentar „Ist vermutlich ein wenig staubig“ nicht fehlte.

Meine Mutter behauptet bis heute, dass sie nie wirklich die Sammlerin gewesen ist. Sie schwört Stein und Bein, dass die Anhäufung von Nilpferden aus Plüsch, Stein, Plastik, Hack und Gurke sich nur durch Zufall angesammelt hat. Von den ganzen Werbe- und Swatch-Uhren ganz zu schweigen. Und alles, was nicht irgendwie zur Schau gestellt wurde, fristete sein Dasein in diversen Schränken oder im Keller, der mit der Zeit kaum noch begehbar war, weswegen ich als Jugendlicher das Fahrradfahren irgendwann aufgab, weil ich nicht jedes Mal mit dem Schneidbrenner mein Fahrrad aus all dem anderem Kram hervorholen wollte.

In den Zeiten, in denen ich noch bei meinen Eltern wohnte, war ich Teil des Wochenendrituals, dass uns zwar glücklicherweise nicht zu unchristlichen Zeiten in die Kirche schickte, aber auf diverse Trödelmärkte, die sich in nahezu allen Bezirken der Stadt Berlin fanden. Und früher oder später erlag auch ich dem Sammlerfieber. Ich brachte es auf enorme Sammlungen von Autogrammen, Coca-Cola-Memorabilia und Modellautos. Später, während und nach der Pubertät, verlagerte sich das Ganze bei mir aber mehr in Richtung Musik und Filme.

Noch später, als ich allein wohnte, fuhr ich die Sammlerei stark herunter. Ich bewohnte bereits allein eine Drei-Zimmer-Wohnung, in der quasi kein Platz mehr war, und musste mir irgendwann eingestehen, dass die Sammelleidenschaft nicht normal war. Besonders als ich mit meiner damaligen Freundin zusammenziehen wollte und sie mich fragte, ob sie auch irgendwas von ihrem Kram mitbringen könnte.

Auch meine Mutter fuhr irgendwann nach dem Tod meines Vaters das Sammeln stark zurück, tendierte aber dazu, alles aufzuheben. Ein Haufen Skier, die mein Vater mal mitgebracht hatte, als er für zwei Wochen Anfang der 80er in einer Ski-Bude gearbeitet hatte, stand im Keller. Der Couchtisch, den wir irgendwann mal gegen einen Neuen ausgewechselt hatten … könnte man ja vielleicht noch mal gebrauchen. Also ab in den Keller. So wie auch Dinge, die Bekannte loswerden wollten, in denen meine Mutter aber noch das Potential für spätere Brauchbarkeit erkannte. So stapelten sich im Keller meiner elterlichen Wohnung neben den besagten Skiern und Tischen, Dinge wie Koffer, Taschen, Rücksäcke sowie der Vogelkäfig unseres Papageis, der vor 25 Jahren gestorben war.

Das alles mag so klingen, als würde es bei meiner Mutter oder mir daheim so aussehen, wie in einer der Messie-Wohnungen, die im Reality-TV gezeigt werden. Aber so ist das nicht. Sowohl bei meiner Mutter als auch mir kann man durch die Zimmer gehen und sich normal bewegen. Man braucht nicht die Hilfe einer Handgranate, um aufzuräumen. Es riecht auch nicht wie im kleinen Raubtierhaus und man braucht auch keine Angst davor zu haben, sich mit Pest oder Cholera anzustecken oder gar von einer mutierten Ratte angefallen zu werden, welche die Größe eines Elefantenbabys hat. Aber – ja – wir haben sehr viel Kram.

Trotzdem erstaunt es mich immer wieder WAS für Kram meine Mutter hat. Als meine Frau und ich vor geraumer Zeit zwei Katzenmädchen kauften, überlegten wir, wie wir die nach Hause bringen sollten.

„Na, warte mal“, sagte meine Mutter. „Ich müsste im Keller noch eine Transportkiste haben.“

„Wat?“, sagte ich, denn ich wüsste nicht, wofür sie jemals eine Transportkiste für Tiere hat brauchen können. Sie hat zwar zwei Hunde, aber Hunde laufen in der Regel selber, wenn man sie z.B. zum Tierarzt bringt. Bei Katzen ist das schon eher ein Problem.

„Ja, die habe ich noch von der Alten mit dem nervösen Pinscher, die da auf der anderen Seite des Hofs gewohnt hat.“

„Und warum hast du die überhaupt? Nicht, dass ich mich beschweren will, denn wir können die ja brauchen.“

„Na, aus genau diesem Grund. Die war noch gut und ich dachte, man könnte sie vielleicht noch mal brauchen. Ist vermutlich nur ein wenig angestaubt.“

Irgendwann meinte meine Frau mal beiläufig, dass sie einen Spiegel im Schlafzimmer gebrauchen könnte, um tatsächlich mal sehen zu können, wie eine Klamottenkombination aussieht.

„Ich glaube, ich habe noch einen Spiegel im Keller“, meinte meine Mutter. „Der ist bestimmt so einen Meter fünfzig hoch.“

„Was? Wo kommt denn der her?“, fragte ich.

„Der gehörte zu den Schlafzimmerschränken. Haben wir aber nie angemacht, weil wir es nicht brauchten. Also kam er in den Keller.“
Der Spiegel musste also auch schon mindestens dreißig Jahre im Keller stehen.

„Wir können ja mal kurz runtergehen“, sagte meine Mutter. „Der ist bestimmt nur ein wenig angestaubt.“

Also gingen wir in den Keller und tatsächlich stand da in einer Ecke mit irgendwelchen Holzteilen, von denen ich lieber nicht wissen wollte, zu was sie gehörten, ein großer Spiegel.

„Braucht ihr noch einen Koffer?“, fragte meine Mutter.

„Nein“, sagte ich. „Wir könnten höchstens noch eine Tasche gebrauchen, weil die, die wir haben, schon vollkommen ausgebufft und abgelascht sind.“

„Na, mach doch mal den Koffer auf“, erwiderte sie und als ich es dann tat – voilà – fand ich darin ein paar Taschen und Rucksäcke. „Falls ihr noch Knackfolie braucht, um den Spiegel für den Transport einzuschlagen, die müsste da irgendwo in der Ecke stehen.“

„Ich glaube, es geht schon“, sagte ich.

Meine Frau schüttelte nur fasziniert den Kopf.

Noch mehr als über das, was im Keller stand und steht, wundere ich mich eigentlich immer darüber, dass es überhaupt da rein passt. Der Keller hat ja nicht die Größe von Liechtenstein, sondern ist so fünf bis sechs Quadratmeter groß. Irgendwann, nachdem ich die Harry-Potter-Bücher gelesen hatte, kam ich zu dem Schluss, dass meine Mutter eine Hexe sein musste, die wie Hermine Granger einen Zauberspruch angewendet hat, um es dort geräumiger zu machen. Warum sie das allerdings nicht bei unseren Wohnungen tat, wird mir immer ein Rätsel bleiben.

Ich bin mir nicht sicher, was meine Mutter nicht im Keller hat. Ich befürchte, dass ich irgendwann mal in den Tauchurlaub nach Ägypten fahre, und meine Mutter mir sagt, dass sie da noch ein Unterseeboot im Keller hat, das nur ein wenig angestaubt ist. Hat sie vermutlich von irgendwelchen Nachbarn, die mal Tiefseeforschung oder so betrieben haben. Was weiß ich. So typische Leute, die in einer Sozialbauwohnung in Berlin-Spandau leben, halt.

Neulich kam meine Frau an und meinte, dass unser – ich zitiere – „Sandwich-Waffeleisen oder wie auch immer man das Ding nennt, mit denen man Sandwiches so zusammenpappt“ – Zitat Ende – kaputt ist. Brauchen wir wohl ein Neues, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass meine Mutter vielleicht noch so ein Teil im Keller hat. Also rief ich sie an.

„Klar, habe ich noch“, sagte sie.

„Im Keller?“, fragte ich.

„Nein, müsste ich irgendwo im Küchenregal haben. Brauche ich ja nicht mehr.“

„Vielleicht können wir das mitnehmen, wenn wir das nächste Mal vorbeikommen.“

„Sicher. Suche ich raus und stelle ich hin.“
Wir sprachen noch eine Weile über dies und jenes und ich erzählte ihr, dass wir demnächst mal auf den Trödelmarkt gehen wollten, weil zumindest ich etwas von meinem Kram loswerden will.

„Ich hätte da auch noch das ein oder andere“, sagte meine Mutter.

„Ach, was?“, erwiderte ich.

„Im Keller sind noch die ganzen Kisten mit deinen doppelten Modellautos.“

„Ach, ja“, sagte ich, denn ich hatte bisher erfolgreich verdrängt, dass ich nicht nur noch einen Haufen Modellautos hatte, sondern auch noch etliche davon doppelt, denn die könnte man ja zum Tauschen benutzen. „Die müssen wahrscheinlich noch warten“, sagte ich. „Zunächst mal wollen wir den Kram von uns loswerden. Hast du vielleicht noch einen Tapeziertisch, den wir auf dem Trödelmarkt nutzen könnten.“

„Klar“, sagte meine Mutter.

„Im Keller?“, fragte ich.

„Natürlich. Braucht ihr auch noch ein paar Hocker dazu?“

„Ja, wäre sicher auch angenehm dort eine Sitzmöglichkeit zu haben.“

„Da habe ich auch noch zwei im Keller“, sagte meine Mutter und fügte dann den passenden Satz hinzu, auf den ich die ganze Zeit nur gewartet hatte: „Sind vermutlich nur ein wenig angestaubt.“

Essen in wirklich feinen Restaurants

Ich bin ein recht simpel gestrickter Mensch. Es gibt Dinge, die ich mag. Es gibt Dinge, die ich nicht mag. Zum Beispiel mag ich es relativ lockere Klamotten zu tragen, eine Ahnung davon zu haben, wie gewisse Sachen funktionieren, und zu essen. Aber ich hatte ein Erlebnis, das gleich alle drei Dinge in Frage stellte, die ich so sehr mochte: Meine Frau und ich wurden in ein feines Restaurant eingeladen.

Die Sache mit feinen Restaurants ist ja, dass man da nicht wie Karl-Heinz aus der Fankurve des Unterschlöringer FC auftauchen kann. In der Regel wird davon ausgegangen, dass man zumindest anständige Kleidung trägt. Es muss ja nicht gleich ein Anzug sein, aber Jeans und T-Shirt weisen einen gleich als jemand aus, der offenbar nicht in die Kreise gehört, die sich in solchen Restaurants bewegen sollten. Also war auch meine Fließpulli / Baggy Pants Kombination vielleicht nicht ideal.

Meine Frau hatte bereits diesen Gesichtsausdruck, der mir sagte „Oh Gott, ich fühle mich völlig fehl am Platz!“ und der eigentlich klarmacht, dass sie das Essen nicht würde genießen können, weil ihr die ganze Zeit nichts anderes durch den Kopf ging.

Auf dem Tisch fanden sich acht verschiedene Sorten Besteck, fein säuberlich aneinandergereiht. In meinem bisherigen Leben bin ich mit drei Sorten Besteck ausgekommen: Gabel, Messer, Löffel. Vier Sorten, wenn man Teelöffel und Eßlöffel als unterschiedliche Gattungen bezeichnen möchte. Abgesehen davon, dass meine Vorliebe für lockere Klamotten also bereits mit der unausgesprochenen Regel des Hauses brach, die offenbar vorsah in Anzug und Krawatte zu erscheinen, fand ich mich auch in einer Situation wieder, in der ich nicht wusste, wofür das ganze Besteck eigentlich gedacht war. Aber immerhin ging es ums Essen, also konnte es schon nicht so schlimm werden.

Meine bisherigen Erfahrungen in Restaurants oder Etablissements, die dafür vorgesehen waren, dass man eine Mahlzeit zu sich nimmt, ließen es zu, dass ich sie in drei unterschiedliche Arten gliedern konnte.
Zum einen die normalen Restaurants, in denen es – meinen bisherigen Erlebnissen nach – eine Karte gibt, von der man ein Gericht bestellt, dass dann in der Küche zubereitet wird und irgendwann vor einem steht. In der Regel bestehend aus Fleisch, einer Beilage, wie zum Beispiel Kartoffeln, und Gemüse, wenn man nicht gerade eine Suppe oder einen Mischmasch aus diversen Ingredienzen nimmt, wie z.B. einen Salat oder eine Lasagne. Statt Fleisch nehmen Vegetarier auch gerne etwas, von dem sie wünschten, es würde so ähnlich aussehen wie Fleisch.
Oder schmecken.
Zumindest weiß man in normalen Restaurants in der Regel, was man bekommt: Einen Teller, auf dem dann alles drauf ist, was man gerne essen wollte.
Eine andere Art ist das sogenannte Buffet, bei dem viele verschiedene Speisen bereitstehen, von denen man sich dann nimmt, je nachdem, wie man gerade Lust hat. Kommt auch öfter in der Form eines All-You-Can-Eat-Buffets vor, was viele Leute – darunter auch meine Frau und mich – dazu verleitet nach dem Motto zu leben: „Lieber den Magen verrenken, als dem Wirt was schenken“. Meistens fragt man sich hinterher, ob Platzen wirklich der schönste Tod wäre.
Die dritte Art wäre der sogenannte Schnellimbiss, manchmal auch in Form von Fast-Food-Restaurants. Gerade in diesen ist es meistens völlig ohne Belang, wie man aussieht. Ob mit oder ohne Schal des Unterschlöringer FC, mit oder ohne offenen Bademantel und nichts darunter, es kümmert keinen.
Und das Essen gibt einen oftmals auch das Gefühl, als hätte es niemanden gekümmert.

Das Restaurant, in dem wir uns auf Einladung wiederfanden, passte in gar keine dieser drei Arten. Ein wenig fühlte ich mich wie Neil Armstrong, der die ersten Schritte auf dem Mond machte, als uns die Kellnerin die Karte in Form eines mit silbernen Wachs versiegelten Briefes überreichte. Ein kleiner Schritt für den Hunger, aber ein großer Schritt für den ignoranten Restaurantbesucher.
Als ich mit vor Aufregung zitternden Fingern das Siegel zerbrach, fand ich darin nicht etwa eine Liste der Speisen, aus denen ich auswählen durfte. Nein, die Karte klärte uns lediglich darüber auf, was es zu Essen geben würde. Jegliches Mitspracherecht wurde uns genommen.

Als ich darüber nachdachte, kam ich zu dem Schluss, dass es vermutlich die Gäste davon abhalten sollte so etwas wie „Eima Pommes. Mach ma mit ordentlich Mayo“ bestellen zu wollen.

Die Kellnerin informierte uns, dass wir das Drei- oder Vier-Gänge-Menü wählen konnten.
Aha, doch eine Wahl!
Wenn wir das Drei-Gänge-Menü wählten, würde lediglich der erste Gang wegfallen. Dann verschwand sie und ließ uns in unserer Verwirrung allein.

Wir schaute uns die Karte genauer an. Statt klar zu sagen, dass dieses und jenes eine Suppe oder irgendwas anderes ist, stand dort einfach nur die jeweilige Zutat. Also beim ersten Gang so etwas wie: Jakobsmuschel / Rhabarber / Austernpilz / Passionsfrucht.

„Was heißt denn das jetzt genau?“, fragte meine Frau. „Liegt da eine ganze Passionsfrucht auf dem Teller?“
Ich zuckte mit den Schultern.

Was den ersten Gang anging, war uns das eigentlich egal. Wir sind beide keine Fans von Muscheln, wobei zumindest ich zugegeben muss, dass ich dazu neige Austern und Muscheln immer durcheinander zu bringen. Die eine Art enthält festes Fleisch, das man kauen kann, die andere enthält irgendeinen Glibber, den man herausschlürft und dabei so tut, als hätte man sich nicht selbst am eigenen Rotz verschluckt.

Wir beschlossen uns also auf das Drei-Gänge-Menü zu beschränken. Wie sich herausstellte, hatte das doch irgendwie vier Gänge , da die Kellnerin kurz darauf mit einer Art großen Porzellanlöffel zurückkam, den sie vor jeden von uns auf den Tisch stellte und feierlich sagte: „Ochsenbäckchen auf Blumenkohlpüree“.
Irgendwo hörte ich Posaunen, aber die bildete ich mir vielleicht ein.

Ich verkniff mir die Frage, ob das Bäckchen – und als mehr konnte man es wirklich nicht bezeichnen – aus der vorderen Backe oder der hinteren Backe stammte. Aber zumindest ließ sich vom ersten Blick her sagen, dass es sehr übersichtlich war.

Der Püree schmeckte, wie Püree in der Regel schmeckt: Irgendwer kam mal auf die Idee, dass man irgendetwas Eßbares nimmt und dann so schreddert, bis man es nicht mehr erkennt. Visuell und geschmacklich. Was das Ochsenbäckchen anging: Mir wurde zumindest klar, wie das Fleischstück zusammen gehalten wurde, denn die Sehne darin war wirklich reiß- und bissfest.
Als meine Frau mich mit dem Stück Fleisch kämpfen sah, hatte sie gleich darauf verzichtet, es zu probieren und sagte der Kellnerin beim Abräumen, dass das „nicht so ihrs“ gewesen ist.

Die Spannung stieg, als wir auf den ersten richtigen Gang warteten, obwohl wir wieder keine Vorstellung hatten, was uns unter Löwenzahn / Pistazie / From Age Leave / Short Rib präsentiert werden würde.
„Sollen wir an einem Löwenzahnstengel knabbern?“, fragte mich meine Frau und machte bereits lange Zähne.

Die Kellnerin stellte uns die Teller hin und erklärte erneut unter Engelsposaunen, dass es sich um Löwenzahnsuppe mit Pistazienkernen handeln würde, in dem ein in From Age Leave eingewickeltes Stück Short Rib mit etwas Pistazieneis gereicht wurde.

Bei der näheren Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich bei From Age Leave und Short Rib um ein Stück Fleisch, eingewickelt wie eine Roulade, handelte, zur geistigen Ablenkung mit Pistazieneis zugeklatscht. Anders konnte ich mir zumindest das Pistazieneis auf dem warmen Gericht nicht erklären.
Nun war es an mir das Gesicht zu verziehen, denn ich hatte den Eindruck, ich sollte ein Rind und seine letzte Mahlzeit gemeinsam zu mir nehmen.
„Die Suppe schmeckt echt gut“, sagte meine Frau.
Ich fand sie genießbar, hatte aber trotzdem den Eindruck, ich würde gerade ein Stück Wiese schlucken.
Ich sah, wie meine Frau versuchte das Stück Fleisch zu essen. Offenbar wehrte sich die Speise.
„Wat is denn dit?“, sagte sie, plötzlich in den Berliner Dialekt verfallend, was meistens darauf hindeutete, dass sie sich über irgendwas ärgerte. „Dit is‘n halbgarer Klumpen Gezadder, eingewickelt in ein altes Blatt.“
Mir war es immerhin gelungen das Fleisch zu schneiden, kaute nun aber ebenfalls erfolglos auf dem fast rohen Etwas herum und nickte, um ihr zuzustimmen.
„Das war so von der Evolution nicht vorgesehen“, sagte sie.
„Was meinst du?“, fragte ich.
„Unsere Vorfahren haben nicht das Feuer entdeckt und das Fleisch darauf gegart, damit wir nun wieder in unsere vor-evolutionäre Phase zurückkehren und rohes Fleisch essen.“

Als die Kellnerin kam, um abzuräumen, entdeckte sie, dass das Fleisch von meiner Frau noch auf dem Teller lag.
„Möchten Sie das Fleisch lieber durch haben? Dann sage ich in der Küche für den nächsten Gang Bescheid.“
Wir beide nickten vehement.

Die Posaunen kündigten einen weiteren Gang an. Ruppiner Lamm / Kaninchen / Spargel / Bärlauch / Fermentierter Pfeffer stand auf der Speisekarte. Zum ersten Mal hatte ich irgendwie eine Vorstellung von dem, was mich erwartete, aber es kam doch anders. Das Lamm war noch am ehesten normal zubereitet. Zwei kleine Fleischstückchen, diesmal ordentlich durchgebraten. Das Kaninchen hatte aber offenbar zu leiden, denn es wurde quasi atomisiert und in etwas gepresst, dass die Kellnerin als Praline bezeichnete. Für mich sah es wie eine frittierte Kugel aus. Dazu gab es ein dünnes Scheibchen einer Roulade, in der anscheinend auch Kaninchen drin war und ein paar Gnocchi, die solange in Bärlauch gewälzt waren, dass der Portier vom Hotel nebenan, drei Stockwerke unter uns und zwei Häuser weiter, wusste, was wir aßen. Das Ganze rundeten ein paar grüne und weiße Spargelspitzen ab, die aufrecht in den Himmel ragten und in einer roten Soße standen, als würden sie an das Blutvergießen am elften September gedenken wollen. Vor Ergriffenheit hätte ich fast salutiert.

„Geht doch“, sagte meine Frau, als sie das Fleisch probierte.
Auch mir schmeckte der Gang ausgezeichnet, obwohl ich eigentlich kein Freund von Spargel bin und mir jedes Frühjahr die vielen Stände, die Beelitzer Spargel anpreisen, tierisch auf den Geist gehen, weil es den Eindruck vermittelt, als würde jeder Einwohner von Beelitz eine Tonne Spargel unter seinem Bett horten.

Nach diesem durchaus schmackhaften Hauptgang folgte die letzte Runde: Das Dessert.
Weiße Lindtschokolade / Tapioka / Erdbeere / Erdnussbutter
„Was ist denn Tapioka?“, fragte meine Frau.
Ich zuckte mit den Schultern und holte das Handy hervor, um Wikipedia aufzurufen. „Tapioka oder Tapiokastärke ist eine nahezu geschmacksneutrale Stärke, die aus der bearbeiteten und getrockneten Maniokwurzel hergestellt wird.“
„Geschmacksneutral? Na, das hilft ja auch nicht“, sagte meine Frau.

Ein letztes Mal erklangen die Posaunen, um mich zu überzeugen, dass wir gerade dabei waren das größte Festmahl unseres Lebens zu uns zu nehmen.
„Was für Posaunen?“, fragte sie mich allerdings, nachdem ich eine entsprechende Bemerkung gemacht hatte.
Doch nur Einbildung, dachte ich.

Halbmondförmig waren ein paar Kleckse Erdnussbutter, irgendeiner anderen Crème samt ein paar Tapiokabällchen und atomisierten Erdbeeren um die Tellermitte drapiert, als befänden sie sich auf der Flucht vor der anderen Seite.
„Vielleicht ein Tribut an die Opfer des arabischen Frühlings?“, fragte ich.
„Von was zum Teufel redest du denn da eigentlich?“, fragte meine Frau.

Kurze Zeit darauf verließen wir das Restaurant und der Portier des Hotels im Nachbarhaus warf uns einen strengen Blick zu.
„Ich fand es dann doch eigentlich ganz lecker“, sagte ich.
„Ja, bis auf den halbgaren Batzen mit dem Gezadder“, sagte meine Frau.

Dann dachte ich, dass so also ein Essen für 60 Euro pro Person aussieht. Beim Kroaten meines Vertrauens hätten wir dafür viereinhalb mal Essen gehen können. Der Grillteller wäre bis an den Rand mit Pommes, Reis und Fleisch in vier verschiedenen Formen gefüllt. Alles auf einmal. Nichts wäre hübsch angerichtet und hinterher hätten wir wieder das Gefühl, man müsste ein halbes Jahr lang Sport machen, um die Kalorien loszuwerden. Aber zumindest hätten wir uns nicht um die Kleiderordnung sorgen müssen. Oder welches Besteck wann korrekt wäre. Irgendwie freute ich mich schon darauf.

Themenfindung für die offene Bühne

Meine Schriftstellerkarriere ist mittlerweile schon ein paar Bücher alt aber irgendwie habe ich noch relativ wenig Lesungen gehalten. Meine Verlage kümmern sich da irgendwie gar nicht drum und mir selbst ist es zu blöd rumzutelefonieren und Leuten auf den Sack zu gehen.

So nach der Art „Laden Sie mich doch mal zu sich ein!“ und die fragen mich „Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?“

Aus diesem Grund habe ich eine Agentur, die sich um so etwas kümmern soll. Aber weil ich eben relativ wenig Lesungserfahrung habe, sind die natürlich nervös, dass ich keine 1,5 Stunden auf der Bühne aushalte, um aus meinen Büchern zu lesen. Ich schätze in deren Vorstellung bin ich vielleicht so wie ein Reh im Scheinwerferlicht, bewege mich nicht und starr nur so vor mich hin. Vielleicht haben sie auch Angst, dass ich mich in einen primitiven Vorfahren der Menschen verwandle und dann Fäkalien von der Bühne werfe. Irgendwie sowas.

Die Idee von meiner Leseagentur war nun , dass ich zunächst bei kleineren Open Stage/Open Mic Veranstaltungen mitmache, damit ich Routine bekomme. Ich hab gedacht, okay, kein Problem, kann ich mir ja mal ansehen. Aber die Sache ist die: Irgendwo da aus einem meiner Bücher vorzulesen, macht vermutlich nicht viel Sinn, zumal man da nur so 5-10 Minuten Zeit hat. Das reicht nicht mal für eine der Kurzgeschichten, die ich bisher veröffentlicht habe. Und ansonsten sind das ja gleich ganze Romane. Da jetzt so einen fünf Minuten Abschnitt zu finden…

Also habe ich gedacht, dass ich kleinere Texte schreibe, die ich auf der Bühne vortragen könnte. Aber irgendwie braucht man ja auch ein Thema. Da musste ich erst mal grübeln.

„Hast du eine Idee, was ich da schreiben könnte?“, fragte ich meine Freundin.

„Bist du hier der Schriftsteller oder ich?“, fragte sie und ich war mir nicht ganz sicher, ob sie meinte, mir damit irgendwie geholfen zu haben.

Also fragte ich meine Mutter, die mich noch einmal darauf hinwies, dass ich immer noch nicht so viele Bücher wie Thomas Mann verkauft hatte. Meine Argumentation, dass ich mich in keinster Form mit Thomas Mann vergleichen würde und vielleicht mehr Bücher verkaufen würde, wenn ich ein Thema hätte, über das ich bei einer Lesebühnenveranstaltung sprechen könne, damit die Leute dort dann vielleicht meine Bücher kaufen, wollte sie nicht gelten lassen.

„Du bist doch wieder nur zu faul, dir selbst was auszudenken.“

Also gut, dachte ich. Hilft ja nix. Muss ich wohl wirklich selber nachdenken.

Natürlich könnte ich über ganz alltägliche Dinge sprechen. Dinge, die mir eben so passieren. Das Problem ist lediglich, dass ich als selbstständiger Schriftsteller daheim arbeite. Das Spannendste an manchen Tagen ist das Klingeln des Postboten und die bange Frage „Kriege ich mal wieder selbst ein Päckchen oder soll ich nur was für die Nachbarn annehmen?“. Mein Postbote guckt schon ganz komisch, wenn ich die Tür aufreiße und brülle „ICH WETTE, DAS IST FÜR MICH!“.

Neulich hat mich übrigens ein Nachbar angesprochen, warum er in letzter Zeit immer zur Post gehen muss, um seine Pakete zu holen.

Aber ich schweife ab.

Eigentlich kann man zu bestimmten Themen immer was sagen. Zum Beispiel Politik und Wirtschaft. Das Problem ist nur, dass das Andere viel besser können als ich. Ich kriege eine ganz gute Parodie von Helmut Kohl hin, aber irgendwie bin ich da dreißig Jahre zu spät. Und irgendwie habe ich da auch nicht genug Ahnung von. Ich verwechsele immer die CSU mit der AfD.

Nein, alltägliche Dinge sind wohl etwas, das eher nichts mit den großen Tagesnachrichten zu tun hat, obwohl die auch ein gutes Thema wären, wenn ich es recht überlege. Aber wenn ich mich auf Tagesnachrichten, Politik oder dergleichen verlagern würde, gäbe es auch nur einen kleinen Zeitraum, in dem man damit punkten könnte.

Es muss also was wirklich allgemeines sein, über das ich sprechen könnte. Irgendwas, was immer da ist und immer wieder die gleichen Merkwürdigkeiten hervorbringt. „Das Panoptikum merkwürdiger Gestalten im öffentlichen Nahverkehr“ wäre zum Beispiel ein gutes Thema. Und ein guter Titel. Ich bin 15 Jahre lang täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin zur Arbeit gefahren. Wen ich da alles getroffen habe … das würde Telefonbücher füllen.

Apropos Arbeit… Arbeitsplatz ist auch immer gut. Gerade, wenn es ums Büro oder so geht. Das können die meisten Leute nachvollziehen, denn so unterschiedlich die ganzen Bürojobs sind, also ob man Journalist, Rechtsanwaltsgehilfin oder Programmierer ist: Irgendwie passieren in Büros immer ähnlich nachvollziehbare merkwürdige Dinge. Irgendwer beschwert sich immer, dass die Spülmaschine nicht ausgeräumt oder der Kaffee mal wieder alle ist. Oder kommt aus dem Klo und fragt, ob da eine eingemauerte Leiche in der Wand verfault oder das einfach so riechen muss. Irgendwie kriegt man doch da eine lustige Geschichte zusammen, denke ich.

Geschichten über die bessere Hälfte gehen eigentlich auch immer, schätze ich. Gut, je nachdem was ich erzähle, müsste ich gegebenfalls auf der Couch schlafen oder die Wunde vom Nudelholz behandeln lassen, aber so grundsätzlich…

Natürlich wären auch ganz andere Themen denkbar. Irgendwas, wo jetzt nicht jeder drauf kommen würde. So ganz persönliche Sachen. Zum Beispiel welche Kosenamen ich meinen ganzen Organen gegeben habe. Aber ob das die Zuschauer interessiert? „Die Geschichte von Milzi“. Na ja.

Wenn ich es mir recht überlege, wären auch geisteswissenschaftliche Themen denkbar. „Der menschliche Verstand und andere schwarze Löcher“ zum Beispiel. Da könnte man ganz philosophisch werden und mal ganz tief in die Psychosen von Otto Normalschriftsteller eintauchen. Vielleicht das Ganze auch mit etwas Physik aufpeppen, weil ich mal in einem Artikel in einer Zeitschrift darüber gelesen habe und jetzt denke, dass ich im Grunde ein verkappter Nobelpreisträger bin. Also für Physik, nicht Literatur.

Geschichte ist auch ein gutes Thema. Interessiert mich auch. Wobei ich da eher so für ganz alte Geschichte bin. Also Ägypter, Griechen, Römer. Die neuere Geschichte ist da auch irgendwie ausgelutscht. Hitler und Konsorten. Mag ja keiner mehr hören. Geht dann auch schon wieder zu sehr in Richtung der Politik. Nein, mehr so nette Anekdoten aus dem Bereich der Geschichte. Wie zum Beispiel die Eroberung der niederländischen Flotte bei Den Helder durch die Kavallerie. Kavallerie, also Pferde, haben Schiffe erobert.

Ver-rückt.

Dschingis Khan wäre auch ein Thema. Der hat zu seiner Zeit fast 10% der Weltbevölkerung ausgerottet.

Nicht unbedingt das lustigste Thema, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.

Andererseits stammen heute noch gut 0.5% der Weltbevölkerung direkt von ihm ab. Das finde ich schon wieder irgendwie lustig.

Vielleicht denke ich auch in die ganz falsche Richtung. Vielleicht wäre ja was ganz Abstruses viel besser. So etwas wie „Igel taugen nicht als Baseball“. Oder „Böse Küchenmaschinen“. Oder „Sportarten mit Waffen sind interessanter“.

Ich hab da neulich mal mit einem Freund drüber gesprochen. Also darüber, welche Sportarten mit Waffen interessanter wären. Er war ja der Meinung, dass man den Biathlon nur erfunden habe, weil Skilanglauf so langweilig ist. Danach haben wir eine Liste mit Sportarten erstellt, die man sich vielleicht eher ansehen würde, wenn die zusätzlich eine Komponente hätten, wo auf irgendwas geschossen werden muss. Die Liste enthielt zum Beispiel:
Rhythmische Sportgymnastik
Dressurreiten
Curling
Diskuswurf
Weitsprung
Synchronschwimmen
Golf
Yoga
Sumoringen oder Ringen im allgemeinen
Rhönradfahren

Aber wie sollte ich daraus jetzt noch einen Text machen? Ich glaube, ich muss darüber noch mal genau nachdenken.

Nützliche Hinweise zum Erkennen von Verschwörungsgeschwurbel

In diesen merkwürdigen Zeiten, in denen munter irgendwelche »Theorien« verbreitet werden, die gerne mal als »alternative Meinung« deklariert werden, wollte ich doch allen mal etwas unter die Arme greifen und eine nützliche Checkliste machen, anhand der man erkennen kann, ob es sich bei etwas um Verschwörungsgeschwurbel handelt oder nicht.

  1. »Der gesunde Menschenverstand«
    Dieser schwer zu fassende und zu findende Begriff bezeichnet das, was Menschen normalerweise haben, um abzuwägen, was für eine Entscheidung sie treffen. Schon in Nicht-Virus-Zeiten stark rückgehend, wird er momentan selten eingesetzt. Dabei ist es so ein hilfreiches Werkzeug!
    Der gesunde Menschenverstand ist z.B. das, was uns sagt, dass wir uns in der vollen Badewanne nicht föhnen sollten, weil wir schon mal gehört haben, dass Elektrizität und Wasser keine großen Freunde sind. Wenn wir also irgendeine Information von jemandem bekommen, dann kann man schon mal zwei Sekunden investieren und kurz darüber nachgrübeln, ob da Gesagte/Geschriebene/Gestreamte sinnvoll ist.
    »Rohrreiniger töten Viren ab und sorgen dafür, dass es ordentlich flutscht, also sollte man sich davon mal ein Gläschen hinter die Binde kippen. Und hinterher ne Limette lutschen!«
    Klingt erstmal okay, aber wenn man mal zwei Sekunden oder weniger drüber nachdenkt, dann merkt man vielleicht: »Mensch, wenn ich mir so Zeug hinterkippe, wo auf den Flaschen alle möglichen Warnhinweise draufstehen, geht’s mir vielleicht hinterher nicht mehr gut!«
    Also: Erstmal kurz nachdenken.
  2. »Was ist die Quelle?«
    Beispiel: »Der Onkel der Freundin meines Schwippschwagers hat ne Tante, die mal im Krankenhaus gearbeitet hat, die sagt, dass man Masken nur ganz kurz tragen darf, sonst atmet man zuviel CO2 ein und fällt um.«
    Das Obige ist ein Beispiel für eine schlechte Quelle. Sie ist diffus. Gute Quellen sind Personen oder Institutionen, die direkt mit einem bestimmten Thema zu tun haben oder die klassischen Nachrichtenquellen, bei denen man davon ausgehen, dass sie ihre Fakten vorher überprüft haben. Beispiele: Der Spiegel, die Zeit, die Süddeutsche Zeitung, Tagesschau, heute und viele weitere, die ihre Meldungen auf Basis von journalistischen Recherchen publizieren und dafür z.T. schon internationale Preise bekommen haben.
    Schlechte Quellen sind z.B. irgendwelche ehemaligen Journalisten auf YouTube, die mal aus dem Job geflogen sind, weil sie antisemitischen Kram in die Welt gestreut haben. Oder Finanzexperten, die versuchen eine Statistik zu interpretieren und dabei gleich mehrere Fakten außer acht lassen, um z.B. fallende Ansteckungszahlen in den korrekten Zusammenhang zu setzen. Oder Webseiten, die auch in der Vergangenheit schon fragwürdige oder rechtsextremistische Dinge geteilt haben, wobei das beides oft Hand in Hand geht.
    Das erste Beispiel unter diesem Punkt ist übrigens auch gut für Punkt 1 anwendbar. Der gesunde Menschenverstand sagt uns: »Moment mal, wenn Masken dafür sorgen würden, dass wir zuviel CO2 einatmen und dann umfallen, warum tun das dann die ganzen Ärzte und Helfer bei einer OP nicht?«
  3. »Wie wird mir die Information präsentiert?«
    Wir wissen es schon seit Jahr und Tag: Besonders gut recherchierte und durchdachte Beiträge, die einem Faktencheck standhalten, werden von denen, die sie verbreiten, möglichst brüllend und sich echauffierend vorgetragen. Bei schriftlichen Meldungen ist der ausgiebige Gebrauch von Ausrufezeichen oftmals ein Qualitätsmerkmal. Also quasi genau so, wie wir es z.B. von einem Nachrichtensprecher erwarten würden. (Falls das nicht klar war: Alles eben Geschriebene war ironisch gemeint.)
  4. »Wird in der Information ein Aufruf als Meinung versteckt präsentiert?«
    Beispiel: »Ein Typ, den ich mal bei einem Naziaufmarsch getroffen habe, ist Politiker und sagt, dass George Soros alles unter Kontrolle hat, deswegen müssen wir alle Juden einsperren!«
    Falschinformationen und Geschwurbel kommen oftmals im Gewand der »persönlichen Meinung« daher. Wer etwas dagegen sagt, wird gerne als Person bezeichnet, der anderen die Meinungsfreiheit nehmen will. Aufrufe zu illegalen Taten, Antisemitismus, Aufständen oder Tätigkeiten, die anderen Leuten schaden können, sind aber keine Meinung.
    Eine Meinung ist z.B., wenn man sagt: »Ich finde Merkel doof. Ich kann die aus diesen und jenen Gründen nicht leiden.« Darauf kann man »Okay, wenn du meinst« antworten. Oder »Ja, die Gründe kommen mir stichhaltig vor.« Oder »Wat? Nee, ich finde die voll tuffig und super.«
    Ein Aufruf ist z.B. »Merkel muss weg! Die sollte mal jemand erschießen!« Damit vertritt man keine Meinung, sondern ruft zu einer illegalen Tat auf.
    Und wenn jemand zum Putsch an der Regierung mit Waffengewalt aufruft, weil man eine Gesetzesrichtlinie nicht richtig gelesen hat und man fürchtet, man wird zwangsgeimpft, dann ist das halt eben das: Ein Aufruf und keine Meinung.
  5. »Behauptungen und keine Fakten«
    Beispiel: »Angela Merkel ist der Sohn vom Hitler« oder »COVID-19 ist nur eine Grippe«.
    Man kann solche Sätze sagen, aber wenn man die nicht durch nachvollziehbare Fakten untermauert, bleiben sie halt wilde Behauptungen, die – wenn man mal vorurteilsfrei schaut – falsch zu sein scheinen. Angela Merkel ist neun Jahre nach Hitlers Tod geboren und ganz offensichtlich eine Frau. COVID-19 ist ganz offensichtlich wesentlich ansteckender und tödlicher als eine normale Grippe. Man weiß zwar noch nicht alles darüber, aber die buchstäblichen Leichenberge in manchen Ländern sagen eben etwas anderes als diese Behauptung.
  6. »Die Rede ist von Verschwörung«
    Ganz ehrlich: Wenn irgendwer von einer Verschwörung oder »von denen gesteuert« oder »im Hintergrund die Fäden ziehen« spricht, sollten in der Regel bei einem die Warnglocken angehen. Gerade wenn man sich in letzter Zeit die Menschheit anschaut, sollte man eigentlich mitbekommen haben, dass der Großteil zu doof dazu ist, überhaupt an einer Verschwörung mitzuwirken. Ausnahme: Wenn die US-Regierung irgendwie daran beteiligt ist. Die Vergangenheit zeigt leider zu deutlich, dass da viel zu oft Verschwörungen im Gange waren. Aber selbst dort gibt es dann Whistleblower oder irgendwen, der sich verquatscht.
    Verschwörungen funktionieren in der Regel im kleinen Kreis, denn je mehr Leute daran beteiligt sind, umso wahrscheinlicher dringt etwas nach draußen. Die Vorstellung, dass es eine weltweite Verschwörung gibt – egal um was es dabei geht – ist also mehr als fragwürdig.

Deswegen:
Nein, Chemtrails sind Quatsch.
Nein, QAnon ist Quatsch.
Nein, COVID-19 ist keine Erfindung von Bill Gates, um uns alle zu chippen und dann … ja was eigentlich?
Und, nein, Merkel ist nicht Hitlers Sohn.

Geldwechsel

Meine Frau und ich waren vor kurzem auf dem Trödelmarkt und haben vor es demnächst noch einmal zu tun. Aus diesem Grund brauchen wir viel Kleingeld, um wechseln zu können. Deswegen bin ich also heute zur Bank.

Früher hat man das so gemacht:
Zur Bank gegangen, gesagt: »Leute, ich will diesen 20-Mark-Schein in Zwei-Mark-Stücken ausgezahlt haben und den 10er hier in Eine-Mark-Stücken.«
Die Bank: »Allet klar. Hier haste.«

Heute ist das etwas anders.
Ich: »Ich hätte gerne diesen 20-Euro-Schein in Zwei-Euro-Stücken ausbezahlt und diesen 10-Euro-Schein in Ein-Euro-Stücken.«
Bank: »Ja, sind sie denn Kunde bei uns.«
»Ja.«
»Kann ich die Karte mal sehen.«
»Hier bitte.«
»Also die Zwei-Euro-Stücke hätte ich, aber nicht die Ein-Euro-Stücke.«
»Wat?«
»Na ja, wir haben doch kein Geld mehr.«
»Ich dachte, sie wären eine Bank.«
»So einfach ist das auch wieder nicht.«
»Nicht?«
Die Frau schüttelt den Kopf.
»Hat denn vielleicht die andere Filiale Geld, damit ich da wechseln kann?«
»Kann schon sein.«
»Ach?«
Die Frau von der Bank zählt mir zehn Zwei-Euro-Stücke ab. Ich halte ihr schon ein Glas hin, in das die Stücke reingeschüttet werden können.
»Nee, die kann ich ihnen so nicht geben«, sagt sie.
»Wat?«, frage ich.
»Nehmen sie mal diese Karte und gehen sie an den Einzahlautomaten. Einfach die Karte reinstecken, dann das Geld in das Fach legen und dann kommen sie wieder her.«
Ich mache das, was sie sagt, greife mir die Quittung und gehe wieder an den Schalter, wo mittlerweile eine Frau steht, die schon zwanzig Minuten braucht, um sich die Schuhe zuzubinden.
Als ich wieder dran bin, reiche ich die Quittung rüber und die Frau zählt noch einmal die zehn Zwei-Euro-Stücke ab und schüttet sie dann ins Glas.
»Die andere Filiale hat übrigens noch genug Kleingeld.«
»Oh, schön. Danke.«

Ich gehe also hinaus und fahre zur anderen Filiale.
»Ich hätte gerne diesen Zehn-Euro-Schein in zehn Ein-Euro-Münzen gewechselt.«
»Ja, so einfach ist das nicht.«
»Ach, was?«
»Sind sie denn Kunde bei uns.«
»Ja. Hier ist meine Karte.«
»Dann gehen sie doch erstmal an den Einzahlautomaten und zahlen das auf ihr Konto ein. Dann kommen sie wieder her.«
»In der anderen Filiale hat man mir eine andere Karte gegeben und dann …«
»Nee, wir machen das mal so.«
»Okay.«
Ich tue, was sie gesagt hat. Dummerweise steht eine ältere Dame mit Hörgerät am Automaten, für die Technik offenbar ein Fremdwort ist und das, was sie dort tun will, dreimal neu anfängt. Auf meine Fragen, ob ich ihr irgendwie helfen könnte, geht sie nicht ein, weil sie sie vermutlich nicht hört. Dann zahle ich endlich das Geld ein und gehe zurück zum Schalter.
»Gut, dann geben sie mal die Karte her«, sagt die Bankdame und ich gebe sie ihr. Sie tippt irgendwas am Rechner. »Nee, das ist ja blöd.«
»Was denn?«
»So würden sie 2,50 Euro Gebühren zahlen.«
»Wat?«
»Ich nehme das mal raus.«
»Ja, bitte.«
»Wissen sie was?«
»Offensichtlich nicht mehr.«
»Wie bitte?«
»Schon gut.«
»Ich hab das jetzt hier eingegeben. Jetzt können sie noch einmal an den Einzahlautomaten gehen und die Karte reinstecken, dann kommt das als Münzen heraus.«
»Und nicht als Brotscheiben.«
»Wie bitte?«
»Nichts. Schon gut. Ist ja schön, dass das so unkompliziert ging.«
Die Frau schaut mich komisch an, vermutlich weil sie meinen sarkastischen Unterton wahrgenommen hat. Jedenfalls kriege ich die Münzen schließlich am Automaten und habe schon nach zwei Bankfilialen, fünf Kilometer Fahrt auf dem Roller und einer Stunde Zeit dreißig Euro in Kleingeld gewechselt bekommen.