Lesung der Kurzgeschichte „Noah soll ein Boot bauen“
Heute gibt’s mal wieder eine kleine „Bibelgeschichte“ bzw. das, was eigentlich in der Bibel hätte stehen sollen… „Noah soll ein Boot bauen“:
Heute gibt’s mal wieder eine kleine „Bibelgeschichte“ bzw. das, was eigentlich in der Bibel hätte stehen sollen… „Noah soll ein Boot bauen“:
Anthropologisch wird der Mensch der Frühzeit oft in Jäger und Sammler eingeteilt, und es ließe sich darüber streiten, ob man die Menschheit bis heute in einer ähnlichen Form klassifizieren könnte. Heutzutage leben Jäger und Sammler aber eigentlich eher in Personalunion und die hervorstechendste Subspezies des Homo sapiens in dieser Hinsicht ist der Flohmarktgänger. Mit anderen Worten: Ein Jäger der Schnäppchen und Sammler von Tinnef und altem Scheiß, den man eigentlich nicht braucht. Und ich selber stamme aus so einer Familie von Jägern und Sammlern.
Schon vor meiner Geburt waren meine Eltern wohl der Sammelleidenschaft erlegen. Gerade mein Vater hatte eine Plattensammlung, die man mit Recht „stattlich“ nennen konnte. Gemeinsam hatten sie wohl einen Faible für Bücher, wobei ich nicht Romane meine, sondern Bücher, die sich sachlich mit allen möglichen Themen auseinandersetzen. Das half mir später in der Schule, da ich als prä-Internet-Kind kaum mal eine Bibliothek bemühen musste. Wir hatten ja alles daheim. Ich brauchte nur meine Eltern zu fragen, die mir dann sagen konnten, dass wir in da in der obersten Reihe, so mittig neben den in Leder eingebundenen Asterix-Bänden, ein Buch über kanadische Holzfäller hatten. Nein, mir ist auch bis heute nicht klar, weswegen wir a) ein Buch über kanadische Holzfäller hatten und b) ich ein Buch über kanadische Holzfäller brauchte. In der Regel gaben sie mir die gesuchten Bücher herunter, wobei der Kommentar „Ist vermutlich ein wenig staubig“ nicht fehlte.
Meine Mutter behauptet bis heute, dass sie nie wirklich die Sammlerin gewesen ist. Sie schwört Stein und Bein, dass die Anhäufung von Nilpferden aus Plüsch, Stein, Plastik, Hack und Gurke sich nur durch Zufall angesammelt hat. Von den ganzen Werbe- und Swatch-Uhren ganz zu schweigen. Und alles, was nicht irgendwie zur Schau gestellt wurde, fristete sein Dasein in diversen Schränken oder im Keller, der mit der Zeit kaum noch begehbar war, weswegen ich als Jugendlicher das Fahrradfahren irgendwann aufgab, weil ich nicht jedes Mal mit dem Schneidbrenner mein Fahrrad aus all dem anderem Kram hervorholen wollte.
In den Zeiten, in denen ich noch bei meinen Eltern wohnte, war ich Teil des Wochenendrituals, dass uns zwar glücklicherweise nicht zu unchristlichen Zeiten in die Kirche schickte, aber auf diverse Trödelmärkte, die sich in nahezu allen Bezirken der Stadt Berlin fanden. Und früher oder später erlag auch ich dem Sammlerfieber. Ich brachte es auf enorme Sammlungen von Autogrammen, Coca-Cola-Memorabilia und Modellautos. Später, während und nach der Pubertät, verlagerte sich das Ganze bei mir aber mehr in Richtung Musik und Filme.
Noch später, als ich allein wohnte, fuhr ich die Sammlerei stark herunter. Ich bewohnte bereits allein eine Drei-Zimmer-Wohnung, in der quasi kein Platz mehr war, und musste mir irgendwann eingestehen, dass die Sammelleidenschaft nicht normal war. Besonders als ich mit meiner damaligen Freundin zusammenziehen wollte und sie mich fragte, ob sie auch irgendwas von ihrem Kram mitbringen könnte.
Auch meine Mutter fuhr irgendwann nach dem Tod meines Vaters das Sammeln stark zurück, tendierte aber dazu, alles aufzuheben. Ein Haufen Skier, die mein Vater mal mitgebracht hatte, als er für zwei Wochen Anfang der 80er in einer Ski-Bude gearbeitet hatte, stand im Keller. Der Couchtisch, den wir irgendwann mal gegen einen Neuen ausgewechselt hatten … könnte man ja vielleicht noch mal gebrauchen. Also ab in den Keller. So wie auch Dinge, die Bekannte loswerden wollten, in denen meine Mutter aber noch das Potential für spätere Brauchbarkeit erkannte. So stapelten sich im Keller meiner elterlichen Wohnung neben den besagten Skiern und Tischen, Dinge wie Koffer, Taschen, Rücksäcke sowie der Vogelkäfig unseres Papageis, der vor 25 Jahren gestorben war.
Das alles mag so klingen, als würde es bei meiner Mutter oder mir daheim so aussehen, wie in einer der Messie-Wohnungen, die im Reality-TV gezeigt werden. Aber so ist das nicht. Sowohl bei meiner Mutter als auch mir kann man durch die Zimmer gehen und sich normal bewegen. Man braucht nicht die Hilfe einer Handgranate, um aufzuräumen. Es riecht auch nicht wie im kleinen Raubtierhaus und man braucht auch keine Angst davor zu haben, sich mit Pest oder Cholera anzustecken oder gar von einer mutierten Ratte angefallen zu werden, welche die Größe eines Elefantenbabys hat. Aber – ja – wir haben sehr viel Kram.
Trotzdem erstaunt es mich immer wieder WAS für Kram meine Mutter hat. Als meine Frau und ich vor geraumer Zeit zwei Katzenmädchen kauften, überlegten wir, wie wir die nach Hause bringen sollten.
„Na, warte mal“, sagte meine Mutter. „Ich müsste im Keller noch eine Transportkiste haben.“
„Wat?“, sagte ich, denn ich wüsste nicht, wofür sie jemals eine Transportkiste für Tiere hat brauchen können. Sie hat zwar zwei Hunde, aber Hunde laufen in der Regel selber, wenn man sie z.B. zum Tierarzt bringt. Bei Katzen ist das schon eher ein Problem.
„Ja, die habe ich noch von der Alten mit dem nervösen Pinscher, die da auf der anderen Seite des Hofs gewohnt hat.“
„Und warum hast du die überhaupt? Nicht, dass ich mich beschweren will, denn wir können die ja brauchen.“
„Na, aus genau diesem Grund. Die war noch gut und ich dachte, man könnte sie vielleicht noch mal brauchen. Ist vermutlich nur ein wenig angestaubt.“
Irgendwann meinte meine Frau mal beiläufig, dass sie einen Spiegel im Schlafzimmer gebrauchen könnte, um tatsächlich mal sehen zu können, wie eine Klamottenkombination aussieht.
„Ich glaube, ich habe noch einen Spiegel im Keller“, meinte meine Mutter. „Der ist bestimmt so einen Meter fünfzig hoch.“
„Was? Wo kommt denn der her?“, fragte ich.
„Der gehörte zu den Schlafzimmerschränken. Haben wir aber nie angemacht, weil wir es nicht brauchten. Also kam er in den Keller.“
Der Spiegel musste also auch schon mindestens dreißig Jahre im Keller stehen.
„Wir können ja mal kurz runtergehen“, sagte meine Mutter. „Der ist bestimmt nur ein wenig angestaubt.“
Also gingen wir in den Keller und tatsächlich stand da in einer Ecke mit irgendwelchen Holzteilen, von denen ich lieber nicht wissen wollte, zu was sie gehörten, ein großer Spiegel.
„Braucht ihr noch einen Koffer?“, fragte meine Mutter.
„Nein“, sagte ich. „Wir könnten höchstens noch eine Tasche gebrauchen, weil die, die wir haben, schon vollkommen ausgebufft und abgelascht sind.“
„Na, mach doch mal den Koffer auf“, erwiderte sie und als ich es dann tat – voilà – fand ich darin ein paar Taschen und Rucksäcke. „Falls ihr noch Knackfolie braucht, um den Spiegel für den Transport einzuschlagen, die müsste da irgendwo in der Ecke stehen.“
„Ich glaube, es geht schon“, sagte ich.
Meine Frau schüttelte nur fasziniert den Kopf.
Noch mehr als über das, was im Keller stand und steht, wundere ich mich eigentlich immer darüber, dass es überhaupt da rein passt. Der Keller hat ja nicht die Größe von Liechtenstein, sondern ist so fünf bis sechs Quadratmeter groß. Irgendwann, nachdem ich die Harry-Potter-Bücher gelesen hatte, kam ich zu dem Schluss, dass meine Mutter eine Hexe sein musste, die wie Hermine Granger einen Zauberspruch angewendet hat, um es dort geräumiger zu machen. Warum sie das allerdings nicht bei unseren Wohnungen tat, wird mir immer ein Rätsel bleiben.
Ich bin mir nicht sicher, was meine Mutter nicht im Keller hat. Ich befürchte, dass ich irgendwann mal in den Tauchurlaub nach Ägypten fahre, und meine Mutter mir sagt, dass sie da noch ein Unterseeboot im Keller hat, das nur ein wenig angestaubt ist. Hat sie vermutlich von irgendwelchen Nachbarn, die mal Tiefseeforschung oder so betrieben haben. Was weiß ich. So typische Leute, die in einer Sozialbauwohnung in Berlin-Spandau leben, halt.
Neulich kam meine Frau an und meinte, dass unser – ich zitiere – „Sandwich-Waffeleisen oder wie auch immer man das Ding nennt, mit denen man Sandwiches so zusammenpappt“ – Zitat Ende – kaputt ist. Brauchen wir wohl ein Neues, dachte ich. Dann fiel mir ein, dass meine Mutter vielleicht noch so ein Teil im Keller hat. Also rief ich sie an.
„Klar, habe ich noch“, sagte sie.
„Im Keller?“, fragte ich.
„Nein, müsste ich irgendwo im Küchenregal haben. Brauche ich ja nicht mehr.“
„Vielleicht können wir das mitnehmen, wenn wir das nächste Mal vorbeikommen.“
„Sicher. Suche ich raus und stelle ich hin.“
Wir sprachen noch eine Weile über dies und jenes und ich erzählte ihr, dass wir demnächst mal auf den Trödelmarkt gehen wollten, weil zumindest ich etwas von meinem Kram loswerden will.
„Ich hätte da auch noch das ein oder andere“, sagte meine Mutter.
„Ach, was?“, erwiderte ich.
„Im Keller sind noch die ganzen Kisten mit deinen doppelten Modellautos.“
„Ach, ja“, sagte ich, denn ich hatte bisher erfolgreich verdrängt, dass ich nicht nur noch einen Haufen Modellautos hatte, sondern auch noch etliche davon doppelt, denn die könnte man ja zum Tauschen benutzen. „Die müssen wahrscheinlich noch warten“, sagte ich. „Zunächst mal wollen wir den Kram von uns loswerden. Hast du vielleicht noch einen Tapeziertisch, den wir auf dem Trödelmarkt nutzen könnten.“
„Klar“, sagte meine Mutter.
„Im Keller?“, fragte ich.
„Natürlich. Braucht ihr auch noch ein paar Hocker dazu?“
„Ja, wäre sicher auch angenehm dort eine Sitzmöglichkeit zu haben.“
„Da habe ich auch noch zwei im Keller“, sagte meine Mutter und fügte dann den passenden Satz hinzu, auf den ich die ganze Zeit nur gewartet hatte: „Sind vermutlich nur ein wenig angestaubt.“
Ich bin ein recht simpel gestrickter Mensch. Es gibt Dinge, die ich mag. Es gibt Dinge, die ich nicht mag. Zum Beispiel mag ich es relativ lockere Klamotten zu tragen, eine Ahnung davon zu haben, wie gewisse Sachen funktionieren, und zu essen. Aber ich hatte ein Erlebnis, das gleich alle drei Dinge in Frage stellte, die ich so sehr mochte: Meine Frau und ich wurden in ein feines Restaurant eingeladen.
Die Sache mit feinen Restaurants ist ja, dass man da nicht wie Karl-Heinz aus der Fankurve des Unterschlöringer FC auftauchen kann. In der Regel wird davon ausgegangen, dass man zumindest anständige Kleidung trägt. Es muss ja nicht gleich ein Anzug sein, aber Jeans und T-Shirt weisen einen gleich als jemand aus, der offenbar nicht in die Kreise gehört, die sich in solchen Restaurants bewegen sollten. Also war auch meine Fließpulli / Baggy Pants Kombination vielleicht nicht ideal.
Meine Frau hatte bereits diesen Gesichtsausdruck, der mir sagte „Oh Gott, ich fühle mich völlig fehl am Platz!“ und der eigentlich klarmacht, dass sie das Essen nicht würde genießen können, weil ihr die ganze Zeit nichts anderes durch den Kopf ging.
Auf dem Tisch fanden sich acht verschiedene Sorten Besteck, fein säuberlich aneinandergereiht. In meinem bisherigen Leben bin ich mit drei Sorten Besteck ausgekommen: Gabel, Messer, Löffel. Vier Sorten, wenn man Teelöffel und Eßlöffel als unterschiedliche Gattungen bezeichnen möchte. Abgesehen davon, dass meine Vorliebe für lockere Klamotten also bereits mit der unausgesprochenen Regel des Hauses brach, die offenbar vorsah in Anzug und Krawatte zu erscheinen, fand ich mich auch in einer Situation wieder, in der ich nicht wusste, wofür das ganze Besteck eigentlich gedacht war. Aber immerhin ging es ums Essen, also konnte es schon nicht so schlimm werden.
Meine bisherigen Erfahrungen in Restaurants oder Etablissements, die dafür vorgesehen waren, dass man eine Mahlzeit zu sich nimmt, ließen es zu, dass ich sie in drei unterschiedliche Arten gliedern konnte.
Zum einen die normalen Restaurants, in denen es – meinen bisherigen Erlebnissen nach – eine Karte gibt, von der man ein Gericht bestellt, dass dann in der Küche zubereitet wird und irgendwann vor einem steht. In der Regel bestehend aus Fleisch, einer Beilage, wie zum Beispiel Kartoffeln, und Gemüse, wenn man nicht gerade eine Suppe oder einen Mischmasch aus diversen Ingredienzen nimmt, wie z.B. einen Salat oder eine Lasagne. Statt Fleisch nehmen Vegetarier auch gerne etwas, von dem sie wünschten, es würde so ähnlich aussehen wie Fleisch.
Oder schmecken.
Zumindest weiß man in normalen Restaurants in der Regel, was man bekommt: Einen Teller, auf dem dann alles drauf ist, was man gerne essen wollte.
Eine andere Art ist das sogenannte Buffet, bei dem viele verschiedene Speisen bereitstehen, von denen man sich dann nimmt, je nachdem, wie man gerade Lust hat. Kommt auch öfter in der Form eines All-You-Can-Eat-Buffets vor, was viele Leute – darunter auch meine Frau und mich – dazu verleitet nach dem Motto zu leben: „Lieber den Magen verrenken, als dem Wirt was schenken“. Meistens fragt man sich hinterher, ob Platzen wirklich der schönste Tod wäre.
Die dritte Art wäre der sogenannte Schnellimbiss, manchmal auch in Form von Fast-Food-Restaurants. Gerade in diesen ist es meistens völlig ohne Belang, wie man aussieht. Ob mit oder ohne Schal des Unterschlöringer FC, mit oder ohne offenen Bademantel und nichts darunter, es kümmert keinen.
Und das Essen gibt einen oftmals auch das Gefühl, als hätte es niemanden gekümmert.
Das Restaurant, in dem wir uns auf Einladung wiederfanden, passte in gar keine dieser drei Arten. Ein wenig fühlte ich mich wie Neil Armstrong, der die ersten Schritte auf dem Mond machte, als uns die Kellnerin die Karte in Form eines mit silbernen Wachs versiegelten Briefes überreichte. Ein kleiner Schritt für den Hunger, aber ein großer Schritt für den ignoranten Restaurantbesucher.
Als ich mit vor Aufregung zitternden Fingern das Siegel zerbrach, fand ich darin nicht etwa eine Liste der Speisen, aus denen ich auswählen durfte. Nein, die Karte klärte uns lediglich darüber auf, was es zu Essen geben würde. Jegliches Mitspracherecht wurde uns genommen.
Als ich darüber nachdachte, kam ich zu dem Schluss, dass es vermutlich die Gäste davon abhalten sollte so etwas wie „Eima Pommes. Mach ma mit ordentlich Mayo“ bestellen zu wollen.
Die Kellnerin informierte uns, dass wir das Drei- oder Vier-Gänge-Menü wählen konnten.
Aha, doch eine Wahl!
Wenn wir das Drei-Gänge-Menü wählten, würde lediglich der erste Gang wegfallen. Dann verschwand sie und ließ uns in unserer Verwirrung allein.
Wir schaute uns die Karte genauer an. Statt klar zu sagen, dass dieses und jenes eine Suppe oder irgendwas anderes ist, stand dort einfach nur die jeweilige Zutat. Also beim ersten Gang so etwas wie: Jakobsmuschel / Rhabarber / Austernpilz / Passionsfrucht.
„Was heißt denn das jetzt genau?“, fragte meine Frau. „Liegt da eine ganze Passionsfrucht auf dem Teller?“
Ich zuckte mit den Schultern.
Was den ersten Gang anging, war uns das eigentlich egal. Wir sind beide keine Fans von Muscheln, wobei zumindest ich zugegeben muss, dass ich dazu neige Austern und Muscheln immer durcheinander zu bringen. Die eine Art enthält festes Fleisch, das man kauen kann, die andere enthält irgendeinen Glibber, den man herausschlürft und dabei so tut, als hätte man sich nicht selbst am eigenen Rotz verschluckt.
Wir beschlossen uns also auf das Drei-Gänge-Menü zu beschränken. Wie sich herausstellte, hatte das doch irgendwie vier Gänge , da die Kellnerin kurz darauf mit einer Art großen Porzellanlöffel zurückkam, den sie vor jeden von uns auf den Tisch stellte und feierlich sagte: „Ochsenbäckchen auf Blumenkohlpüree“.
Irgendwo hörte ich Posaunen, aber die bildete ich mir vielleicht ein.
Ich verkniff mir die Frage, ob das Bäckchen – und als mehr konnte man es wirklich nicht bezeichnen – aus der vorderen Backe oder der hinteren Backe stammte. Aber zumindest ließ sich vom ersten Blick her sagen, dass es sehr übersichtlich war.
Der Püree schmeckte, wie Püree in der Regel schmeckt: Irgendwer kam mal auf die Idee, dass man irgendetwas Eßbares nimmt und dann so schreddert, bis man es nicht mehr erkennt. Visuell und geschmacklich. Was das Ochsenbäckchen anging: Mir wurde zumindest klar, wie das Fleischstück zusammen gehalten wurde, denn die Sehne darin war wirklich reiß- und bissfest.
Als meine Frau mich mit dem Stück Fleisch kämpfen sah, hatte sie gleich darauf verzichtet, es zu probieren und sagte der Kellnerin beim Abräumen, dass das „nicht so ihrs“ gewesen ist.
Die Spannung stieg, als wir auf den ersten richtigen Gang warteten, obwohl wir wieder keine Vorstellung hatten, was uns unter Löwenzahn / Pistazie / From Age Leave / Short Rib präsentiert werden würde.
„Sollen wir an einem Löwenzahnstengel knabbern?“, fragte mich meine Frau und machte bereits lange Zähne.
Die Kellnerin stellte uns die Teller hin und erklärte erneut unter Engelsposaunen, dass es sich um Löwenzahnsuppe mit Pistazienkernen handeln würde, in dem ein in From Age Leave eingewickeltes Stück Short Rib mit etwas Pistazieneis gereicht wurde.
Bei der näheren Untersuchung stellte sich heraus, dass es sich bei From Age Leave und Short Rib um ein Stück Fleisch, eingewickelt wie eine Roulade, handelte, zur geistigen Ablenkung mit Pistazieneis zugeklatscht. Anders konnte ich mir zumindest das Pistazieneis auf dem warmen Gericht nicht erklären.
Nun war es an mir das Gesicht zu verziehen, denn ich hatte den Eindruck, ich sollte ein Rind und seine letzte Mahlzeit gemeinsam zu mir nehmen.
„Die Suppe schmeckt echt gut“, sagte meine Frau.
Ich fand sie genießbar, hatte aber trotzdem den Eindruck, ich würde gerade ein Stück Wiese schlucken.
Ich sah, wie meine Frau versuchte das Stück Fleisch zu essen. Offenbar wehrte sich die Speise.
„Wat is denn dit?“, sagte sie, plötzlich in den Berliner Dialekt verfallend, was meistens darauf hindeutete, dass sie sich über irgendwas ärgerte. „Dit is‘n halbgarer Klumpen Gezadder, eingewickelt in ein altes Blatt.“
Mir war es immerhin gelungen das Fleisch zu schneiden, kaute nun aber ebenfalls erfolglos auf dem fast rohen Etwas herum und nickte, um ihr zuzustimmen.
„Das war so von der Evolution nicht vorgesehen“, sagte sie.
„Was meinst du?“, fragte ich.
„Unsere Vorfahren haben nicht das Feuer entdeckt und das Fleisch darauf gegart, damit wir nun wieder in unsere vor-evolutionäre Phase zurückkehren und rohes Fleisch essen.“
Als die Kellnerin kam, um abzuräumen, entdeckte sie, dass das Fleisch von meiner Frau noch auf dem Teller lag.
„Möchten Sie das Fleisch lieber durch haben? Dann sage ich in der Küche für den nächsten Gang Bescheid.“
Wir beide nickten vehement.
Die Posaunen kündigten einen weiteren Gang an. Ruppiner Lamm / Kaninchen / Spargel / Bärlauch / Fermentierter Pfeffer stand auf der Speisekarte. Zum ersten Mal hatte ich irgendwie eine Vorstellung von dem, was mich erwartete, aber es kam doch anders. Das Lamm war noch am ehesten normal zubereitet. Zwei kleine Fleischstückchen, diesmal ordentlich durchgebraten. Das Kaninchen hatte aber offenbar zu leiden, denn es wurde quasi atomisiert und in etwas gepresst, dass die Kellnerin als Praline bezeichnete. Für mich sah es wie eine frittierte Kugel aus. Dazu gab es ein dünnes Scheibchen einer Roulade, in der anscheinend auch Kaninchen drin war und ein paar Gnocchi, die solange in Bärlauch gewälzt waren, dass der Portier vom Hotel nebenan, drei Stockwerke unter uns und zwei Häuser weiter, wusste, was wir aßen. Das Ganze rundeten ein paar grüne und weiße Spargelspitzen ab, die aufrecht in den Himmel ragten und in einer roten Soße standen, als würden sie an das Blutvergießen am elften September gedenken wollen. Vor Ergriffenheit hätte ich fast salutiert.
„Geht doch“, sagte meine Frau, als sie das Fleisch probierte.
Auch mir schmeckte der Gang ausgezeichnet, obwohl ich eigentlich kein Freund von Spargel bin und mir jedes Frühjahr die vielen Stände, die Beelitzer Spargel anpreisen, tierisch auf den Geist gehen, weil es den Eindruck vermittelt, als würde jeder Einwohner von Beelitz eine Tonne Spargel unter seinem Bett horten.
Nach diesem durchaus schmackhaften Hauptgang folgte die letzte Runde: Das Dessert.
Weiße Lindtschokolade / Tapioka / Erdbeere / Erdnussbutter
„Was ist denn Tapioka?“, fragte meine Frau.
Ich zuckte mit den Schultern und holte das Handy hervor, um Wikipedia aufzurufen. „Tapioka oder Tapiokastärke ist eine nahezu geschmacksneutrale Stärke, die aus der bearbeiteten und getrockneten Maniokwurzel hergestellt wird.“
„Geschmacksneutral? Na, das hilft ja auch nicht“, sagte meine Frau.
Ein letztes Mal erklangen die Posaunen, um mich zu überzeugen, dass wir gerade dabei waren das größte Festmahl unseres Lebens zu uns zu nehmen.
„Was für Posaunen?“, fragte sie mich allerdings, nachdem ich eine entsprechende Bemerkung gemacht hatte.
Doch nur Einbildung, dachte ich.
Halbmondförmig waren ein paar Kleckse Erdnussbutter, irgendeiner anderen Crème samt ein paar Tapiokabällchen und atomisierten Erdbeeren um die Tellermitte drapiert, als befänden sie sich auf der Flucht vor der anderen Seite.
„Vielleicht ein Tribut an die Opfer des arabischen Frühlings?“, fragte ich.
„Von was zum Teufel redest du denn da eigentlich?“, fragte meine Frau.
Kurze Zeit darauf verließen wir das Restaurant und der Portier des Hotels im Nachbarhaus warf uns einen strengen Blick zu.
„Ich fand es dann doch eigentlich ganz lecker“, sagte ich.
„Ja, bis auf den halbgaren Batzen mit dem Gezadder“, sagte meine Frau.
Dann dachte ich, dass so also ein Essen für 60 Euro pro Person aussieht. Beim Kroaten meines Vertrauens hätten wir dafür viereinhalb mal Essen gehen können. Der Grillteller wäre bis an den Rand mit Pommes, Reis und Fleisch in vier verschiedenen Formen gefüllt. Alles auf einmal. Nichts wäre hübsch angerichtet und hinterher hätten wir wieder das Gefühl, man müsste ein halbes Jahr lang Sport machen, um die Kalorien loszuwerden. Aber zumindest hätten wir uns nicht um die Kleiderordnung sorgen müssen. Oder welches Besteck wann korrekt wäre. Irgendwie freute ich mich schon darauf.
Meine Schriftstellerkarriere ist mittlerweile schon ein paar Bücher alt aber irgendwie habe ich noch relativ wenig Lesungen gehalten. Meine Verlage kümmern sich da irgendwie gar nicht drum und mir selbst ist es zu blöd rumzutelefonieren und Leuten auf den Sack zu gehen.
So nach der Art „Laden Sie mich doch mal zu sich ein!“ und die fragen mich „Wer zum Teufel sind Sie überhaupt?“
Aus diesem Grund habe ich eine Agentur, die sich um so etwas kümmern soll. Aber weil ich eben relativ wenig Lesungserfahrung habe, sind die natürlich nervös, dass ich keine 1,5 Stunden auf der Bühne aushalte, um aus meinen Büchern zu lesen. Ich schätze in deren Vorstellung bin ich vielleicht so wie ein Reh im Scheinwerferlicht, bewege mich nicht und starr nur so vor mich hin. Vielleicht haben sie auch Angst, dass ich mich in einen primitiven Vorfahren der Menschen verwandle und dann Fäkalien von der Bühne werfe. Irgendwie sowas.
Die Idee von meiner Leseagentur war nun , dass ich zunächst bei kleineren Open Stage/Open Mic Veranstaltungen mitmache, damit ich Routine bekomme. Ich hab gedacht, okay, kein Problem, kann ich mir ja mal ansehen. Aber die Sache ist die: Irgendwo da aus einem meiner Bücher vorzulesen, macht vermutlich nicht viel Sinn, zumal man da nur so 5-10 Minuten Zeit hat. Das reicht nicht mal für eine der Kurzgeschichten, die ich bisher veröffentlicht habe. Und ansonsten sind das ja gleich ganze Romane. Da jetzt so einen fünf Minuten Abschnitt zu finden…
Also habe ich gedacht, dass ich kleinere Texte schreibe, die ich auf der Bühne vortragen könnte. Aber irgendwie braucht man ja auch ein Thema. Da musste ich erst mal grübeln.
„Hast du eine Idee, was ich da schreiben könnte?“, fragte ich meine Freundin.
„Bist du hier der Schriftsteller oder ich?“, fragte sie und ich war mir nicht ganz sicher, ob sie meinte, mir damit irgendwie geholfen zu haben.
Also fragte ich meine Mutter, die mich noch einmal darauf hinwies, dass ich immer noch nicht so viele Bücher wie Thomas Mann verkauft hatte. Meine Argumentation, dass ich mich in keinster Form mit Thomas Mann vergleichen würde und vielleicht mehr Bücher verkaufen würde, wenn ich ein Thema hätte, über das ich bei einer Lesebühnenveranstaltung sprechen könne, damit die Leute dort dann vielleicht meine Bücher kaufen, wollte sie nicht gelten lassen.
„Du bist doch wieder nur zu faul, dir selbst was auszudenken.“
Also gut, dachte ich. Hilft ja nix. Muss ich wohl wirklich selber nachdenken.
Natürlich könnte ich über ganz alltägliche Dinge sprechen. Dinge, die mir eben so passieren. Das Problem ist lediglich, dass ich als selbstständiger Schriftsteller daheim arbeite. Das Spannendste an manchen Tagen ist das Klingeln des Postboten und die bange Frage „Kriege ich mal wieder selbst ein Päckchen oder soll ich nur was für die Nachbarn annehmen?“. Mein Postbote guckt schon ganz komisch, wenn ich die Tür aufreiße und brülle „ICH WETTE, DAS IST FÜR MICH!“.
Neulich hat mich übrigens ein Nachbar angesprochen, warum er in letzter Zeit immer zur Post gehen muss, um seine Pakete zu holen.
Aber ich schweife ab.
Eigentlich kann man zu bestimmten Themen immer was sagen. Zum Beispiel Politik und Wirtschaft. Das Problem ist nur, dass das Andere viel besser können als ich. Ich kriege eine ganz gute Parodie von Helmut Kohl hin, aber irgendwie bin ich da dreißig Jahre zu spät. Und irgendwie habe ich da auch nicht genug Ahnung von. Ich verwechsele immer die CSU mit der AfD.
Nein, alltägliche Dinge sind wohl etwas, das eher nichts mit den großen Tagesnachrichten zu tun hat, obwohl die auch ein gutes Thema wären, wenn ich es recht überlege. Aber wenn ich mich auf Tagesnachrichten, Politik oder dergleichen verlagern würde, gäbe es auch nur einen kleinen Zeitraum, in dem man damit punkten könnte.
Es muss also was wirklich allgemeines sein, über das ich sprechen könnte. Irgendwas, was immer da ist und immer wieder die gleichen Merkwürdigkeiten hervorbringt. „Das Panoptikum merkwürdiger Gestalten im öffentlichen Nahverkehr“ wäre zum Beispiel ein gutes Thema. Und ein guter Titel. Ich bin 15 Jahre lang täglich mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in Berlin zur Arbeit gefahren. Wen ich da alles getroffen habe … das würde Telefonbücher füllen.
Apropos Arbeit… Arbeitsplatz ist auch immer gut. Gerade, wenn es ums Büro oder so geht. Das können die meisten Leute nachvollziehen, denn so unterschiedlich die ganzen Bürojobs sind, also ob man Journalist, Rechtsanwaltsgehilfin oder Programmierer ist: Irgendwie passieren in Büros immer ähnlich nachvollziehbare merkwürdige Dinge. Irgendwer beschwert sich immer, dass die Spülmaschine nicht ausgeräumt oder der Kaffee mal wieder alle ist. Oder kommt aus dem Klo und fragt, ob da eine eingemauerte Leiche in der Wand verfault oder das einfach so riechen muss. Irgendwie kriegt man doch da eine lustige Geschichte zusammen, denke ich.
Geschichten über die bessere Hälfte gehen eigentlich auch immer, schätze ich. Gut, je nachdem was ich erzähle, müsste ich gegebenfalls auf der Couch schlafen oder die Wunde vom Nudelholz behandeln lassen, aber so grundsätzlich…
Natürlich wären auch ganz andere Themen denkbar. Irgendwas, wo jetzt nicht jeder drauf kommen würde. So ganz persönliche Sachen. Zum Beispiel welche Kosenamen ich meinen ganzen Organen gegeben habe. Aber ob das die Zuschauer interessiert? „Die Geschichte von Milzi“. Na ja.
Wenn ich es mir recht überlege, wären auch geisteswissenschaftliche Themen denkbar. „Der menschliche Verstand und andere schwarze Löcher“ zum Beispiel. Da könnte man ganz philosophisch werden und mal ganz tief in die Psychosen von Otto Normalschriftsteller eintauchen. Vielleicht das Ganze auch mit etwas Physik aufpeppen, weil ich mal in einem Artikel in einer Zeitschrift darüber gelesen habe und jetzt denke, dass ich im Grunde ein verkappter Nobelpreisträger bin. Also für Physik, nicht Literatur.
Geschichte ist auch ein gutes Thema. Interessiert mich auch. Wobei ich da eher so für ganz alte Geschichte bin. Also Ägypter, Griechen, Römer. Die neuere Geschichte ist da auch irgendwie ausgelutscht. Hitler und Konsorten. Mag ja keiner mehr hören. Geht dann auch schon wieder zu sehr in Richtung der Politik. Nein, mehr so nette Anekdoten aus dem Bereich der Geschichte. Wie zum Beispiel die Eroberung der niederländischen Flotte bei Den Helder durch die Kavallerie. Kavallerie, also Pferde, haben Schiffe erobert.
Ver-rückt.
Dschingis Khan wäre auch ein Thema. Der hat zu seiner Zeit fast 10% der Weltbevölkerung ausgerottet.
Nicht unbedingt das lustigste Thema, wenn ich jetzt so darüber nachdenke.
Andererseits stammen heute noch gut 0.5% der Weltbevölkerung direkt von ihm ab. Das finde ich schon wieder irgendwie lustig.
Vielleicht denke ich auch in die ganz falsche Richtung. Vielleicht wäre ja was ganz Abstruses viel besser. So etwas wie „Igel taugen nicht als Baseball“. Oder „Böse Küchenmaschinen“. Oder „Sportarten mit Waffen sind interessanter“.
Ich hab da neulich mal mit einem Freund drüber gesprochen. Also darüber, welche Sportarten mit Waffen interessanter wären. Er war ja der Meinung, dass man den Biathlon nur erfunden habe, weil Skilanglauf so langweilig ist. Danach haben wir eine Liste mit Sportarten erstellt, die man sich vielleicht eher ansehen würde, wenn die zusätzlich eine Komponente hätten, wo auf irgendwas geschossen werden muss. Die Liste enthielt zum Beispiel:
Rhythmische Sportgymnastik
Dressurreiten
Curling
Diskuswurf
Weitsprung
Synchronschwimmen
Golf
Yoga
Sumoringen oder Ringen im allgemeinen
Rhönradfahren
Aber wie sollte ich daraus jetzt noch einen Text machen? Ich glaube, ich muss darüber noch mal genau nachdenken.
In diesen merkwürdigen Zeiten, in denen munter irgendwelche »Theorien« verbreitet werden, die gerne mal als »alternative Meinung« deklariert werden, wollte ich doch allen mal etwas unter die Arme greifen und eine nützliche Checkliste machen, anhand der man erkennen kann, ob es sich bei etwas um Verschwörungsgeschwurbel handelt oder nicht.
Deswegen:
Nein, Chemtrails sind Quatsch.
Nein, QAnon ist Quatsch.
Nein, COVID-19 ist keine Erfindung von Bill Gates, um uns alle zu chippen und dann … ja was eigentlich?
Und, nein, Merkel ist nicht Hitlers Sohn.
Meine Frau und ich waren vor kurzem auf dem Trödelmarkt und haben vor es demnächst noch einmal zu tun. Aus diesem Grund brauchen wir viel Kleingeld, um wechseln zu können. Deswegen bin ich also heute zur Bank.
Früher hat man das so gemacht:
Zur Bank gegangen, gesagt: »Leute, ich will diesen 20-Mark-Schein in Zwei-Mark-Stücken ausgezahlt haben und den 10er hier in Eine-Mark-Stücken.«
Die Bank: »Allet klar. Hier haste.«
Heute ist das etwas anders.
Ich: »Ich hätte gerne diesen 20-Euro-Schein in Zwei-Euro-Stücken ausbezahlt und diesen 10-Euro-Schein in Ein-Euro-Stücken.«
Bank: »Ja, sind sie denn Kunde bei uns.«
»Ja.«
»Kann ich die Karte mal sehen.«
»Hier bitte.«
»Also die Zwei-Euro-Stücke hätte ich, aber nicht die Ein-Euro-Stücke.«
»Wat?«
»Na ja, wir haben doch kein Geld mehr.«
»Ich dachte, sie wären eine Bank.«
»So einfach ist das auch wieder nicht.«
»Nicht?«
Die Frau schüttelt den Kopf.
»Hat denn vielleicht die andere Filiale Geld, damit ich da wechseln kann?«
»Kann schon sein.«
»Ach?«
Die Frau von der Bank zählt mir zehn Zwei-Euro-Stücke ab. Ich halte ihr schon ein Glas hin, in das die Stücke reingeschüttet werden können.
»Nee, die kann ich ihnen so nicht geben«, sagt sie.
»Wat?«, frage ich.
»Nehmen sie mal diese Karte und gehen sie an den Einzahlautomaten. Einfach die Karte reinstecken, dann das Geld in das Fach legen und dann kommen sie wieder her.«
Ich mache das, was sie sagt, greife mir die Quittung und gehe wieder an den Schalter, wo mittlerweile eine Frau steht, die schon zwanzig Minuten braucht, um sich die Schuhe zuzubinden.
Als ich wieder dran bin, reiche ich die Quittung rüber und die Frau zählt noch einmal die zehn Zwei-Euro-Stücke ab und schüttet sie dann ins Glas.
»Die andere Filiale hat übrigens noch genug Kleingeld.«
»Oh, schön. Danke.«
Ich gehe also hinaus und fahre zur anderen Filiale.
»Ich hätte gerne diesen Zehn-Euro-Schein in zehn Ein-Euro-Münzen gewechselt.«
»Ja, so einfach ist das nicht.«
»Ach, was?«
»Sind sie denn Kunde bei uns.«
»Ja. Hier ist meine Karte.«
»Dann gehen sie doch erstmal an den Einzahlautomaten und zahlen das auf ihr Konto ein. Dann kommen sie wieder her.«
»In der anderen Filiale hat man mir eine andere Karte gegeben und dann …«
»Nee, wir machen das mal so.«
»Okay.«
Ich tue, was sie gesagt hat. Dummerweise steht eine ältere Dame mit Hörgerät am Automaten, für die Technik offenbar ein Fremdwort ist und das, was sie dort tun will, dreimal neu anfängt. Auf meine Fragen, ob ich ihr irgendwie helfen könnte, geht sie nicht ein, weil sie sie vermutlich nicht hört. Dann zahle ich endlich das Geld ein und gehe zurück zum Schalter.
»Gut, dann geben sie mal die Karte her«, sagt die Bankdame und ich gebe sie ihr. Sie tippt irgendwas am Rechner. »Nee, das ist ja blöd.«
»Was denn?«
»So würden sie 2,50 Euro Gebühren zahlen.«
»Wat?«
»Ich nehme das mal raus.«
»Ja, bitte.«
»Wissen sie was?«
»Offensichtlich nicht mehr.«
»Wie bitte?«
»Schon gut.«
»Ich hab das jetzt hier eingegeben. Jetzt können sie noch einmal an den Einzahlautomaten gehen und die Karte reinstecken, dann kommt das als Münzen heraus.«
»Und nicht als Brotscheiben.«
»Wie bitte?«
»Nichts. Schon gut. Ist ja schön, dass das so unkompliziert ging.«
Die Frau schaut mich komisch an, vermutlich weil sie meinen sarkastischen Unterton wahrgenommen hat. Jedenfalls kriege ich die Münzen schließlich am Automaten und habe schon nach zwei Bankfilialen, fünf Kilometer Fahrt auf dem Roller und einer Stunde Zeit dreißig Euro in Kleingeld gewechselt bekommen.
Eines der gebräuchlichsten geschichtlichen Missverständnisse ist die Körpergröße von Napoléon Bonaparte.
Die Briten machten sich damals über ihn lustig, weil sie bei französischen Angaben seiner Höhe fälschlicherweise von ihren eigenen Längeneinheiten ausgingen, welche sich von denen der Franzosen deutlich unterschieden. So war Napoléon nicht nur etwas über 1,50m groß, wie die Briten damals glaubten, sondern maß knapp 30 Meter. Ohne Schuhe. Die wurden ihm ja auch explizit aus Elefantenleder hergestellt, weil sonst kein Tier so viel Material hergab.
Seine außergewöhnliche Körpergröße trug dazu bei, dass die französische Armee praktisch ganz Europa einnahm. Im Grunde lief er immer vorneweg und alle anderen Armeen flohen in panischer Angst, weil sie dachten: »Verdammt, das ist ja wie bei King Kong oder Godzilla!«
Wahrscheinlich spuckte Napoléon auch Feuer. Könnte sein.
Allein der Körpergröße wegen hatte auch nie jemand seinen Thronanspruch angefochten. Was hätten die auch sagen sollen? »Du, du, du!«, mitsamt erhobener Faust? Napoléon hätte seine Gegner einfach zertreten. Buchstäblich.
Eigentlich wollte Napoléon auch durch den Kanal waten und England einnehmen, aber das Wasser ging ihm bis zum Hals und weil er nicht schwimmen konnte, ließ er es dann sein.
Was? Warum Napoléon dann auf Bildern aussieht, als hätte er eine normale Körpergröße? Propaganda. Er wollte ja nicht, dass alle Angst vor ihm haben. Also daheim. In anderen Ländern natürlich schon. Aber darauf gehen die Geschichtslehrer nicht gern ein. »Schwachsinn!«, hat meiner damals gesagt und mir eine schlechte Note gegeben, dabei habe ich die Körpergröße selber ausgerechnet! Mein Mathelehrer hat damals auch gesagt: »So funktioniert das nicht. Hast du denn gar nichts gelernt?«, und mir ebenfalls eine schlechte Note gegeben. Die wollten einfach nur die Wahrheit verschleiern. Ganz bestimmt.
»Was wollen wir denn am Wochenende zum Musikabend mitbringen?«
Ich zucke mit den Schultern, weil ich, was mitgebrachtes Essen angeht, so kreativ wie eine Straßenlaterne bin.
»Vielleicht machen wir einfach einen schönen, frischen Salat. Mit Tomate und Paprika«, sagt meine Frau.
»Und Auberginen?«
»Weiß nicht. Ja, vielleicht.«
»Und Avocados?«
»Die mag ich nicht. Weißt du doch.«
»Aber so hätte man einen schönen Beerensalat haben können.«
»Wat?«
»Beerensalat.«
»Ich hab dich akustisch schon verstanden, ich weiß nur nicht wovon du redest.«
»Tomaten, Paprika, Auberginen und Avocados sind alles Beeren.«
Meine Frau rollt mit den Augen.
»Echt jetzt«, sage ich.
»Das mag ja sein, aber deswegen ist es kein Beerensalat. Ein Beerensalat wäre so etwas wie rote Grütze, mit Himbeeren, Brombeeren … und Kirschen oder Erdbeeren.«
»Erdbeeren sind keine Beeren.«
»Hast du wieder irgendeinen Wikipedia-Artikel gelesen und willst jetzt damit angeben, was du gelernt hast?«
»Vielleicht …«
Meine Frau seufzt. »Ich bin ganz Ohr.«
»Erdbeeren, Brombeeren, Himbeeren und Holunderbeeren sind keine Beeren im botanischen Sinn.«
»Stattdessen gehören sie zu den Nestflüchtern?«
»Erdbeeren sind eine Sammelnussfrucht.«
»Was auch immer das heißen mag.«
»Weißt du was stattdessen eine Beere ist?«
»Toastbrot?«
»Fast. Bananen, Zitronen, Orangen und Melonen. Und halt Nachtschattengewächse wie Tomaten, Paprika, Auberginen und Avocados.«
»Schmeckt trotzdem nicht, wenn man es zusammenmischt.«
»Ja, schon, aber …«
»Was bringen wir denn nun am Wochenende mit?«
»Einen Salat. Mit ein paar Beeren drin?«
»Aber ohne Sammelnussfrüchte.«
Es war einmal vor langer Zeit, da gab es in einem Haus mehrere Mietparteien. Hin und wieder stritten die sich etwas untereinander und dann sprachen sie eine ganze Weile nicht mehr, weil einer die Wohnung des anderen verwüstet hatte und umgekehrt. Gerade Familie Deutsch, die irgendwie in der Mitte all der Wohnungen lag, hatte da immer schlimm mitgemischt und die anderen fanden, dass die sich mal am Riemen reißen sollten. Aus diesem Grund hatte man auch die Wohnung der Familie Deutsch in zwei Wohnungen aufgeteilt, weil man dachte: »Also wenn die zusammen sind, dann haben die nur Flausen im Kopf.«
Familie Deutsch hatte das auch eingesehen und gelobte Besserung, weil sie beim letzten Mal echt deutlich über die Stränge geschlagen hatte.
Draußen, etwas abseits auf dem Hof, gab es noch zwei kleine Wohnungen. Die beiden Familien Irish und Brits hatten öfter Probleme, weil nicht ganz klar war, wem ein bestimmtes Zimmer gehörte. Die Familie Irish meinte, dass es bei ihnen in der Wohnung lag, die Brits sagten aber, dass es schon immer Teil ihrer Wohnung war. Aber dazu später mehr.
Der eine Teil der Familie Deutsch und die Familie France, die früher wirklich oft miteinander gestritten hatten, sagten irgendwann: »Mensch, eigentlich wollen wir uns ja nicht mehr streiten und sind irgendwie Besties. Lass uns doch alles zusammen machen und entscheiden, dann liegen wir uns auch nie wieder in den Haaren.«
Ein paar andere Familien aus dem Haus dachten: »Mensch, was für eine schöne Idee. Wenn wir alles zusammenmachen, gibt es weniger Streit. Außerdem können wir gegenüber den anderen Häusern in der Straße geschlossener auftreten und werden nicht mehr so hin und her geschubst, denn die Familien States und Sowjetskich versuchen uns ja andauernd in ihren Streit hineinzuziehen. Mit den riesigen Kanonen in ihren Vorgärten, passiert uns nämlich bestimmt auch was, wenn die sich mal richtig in die Wolle kriegen.«
Die Familie Sowjetskich hatte außerdem den östlichen Teil der Familie Deutsch unter Kontrolle, die über den Rest der Familie, der in der westlichen Hälfte der Wohnung lebte, dachte: »Mann, bei denen läuft es irgendwie besser.«
Egal.
Im Endeffekt trafen sich die Familien France, Deutsch, Belgie, Italia und Nederland in der Wohnung der Italias und unterschrieben einen Vertrag, in dem sie sagten, dass sie gemeinsam einkaufen gehen und sich einen gemeinsamen Stromanbieter suchen wollen. »Wir nennen uns jetzt EWG!«, sagten alle, hoben ihre Daumen und fanden es tuffig und super.
Die Familie Brits hätte eigentlich auch mitmachen können, aber die rümpften zunächst die Nase über die Pläne, immerhin hatte ihnen mal fast die ganze Straße gehört und jetzt wollte man sich nicht einfach irgendwie einordnen. Aber nachdem die Familie sah, wie gut es den anderen in der EWG ging, überlegten sie es sich noch einmal anders.
»Ey, wir wollen auch mitmachen!«, sagten die Brits, aber Familie France rümpfte die Nase: »Ick weiß nich, die machen vermutlich mehr Ärger, als dass sie helfen.« Familie France sollte irgendwie recht behalten, aber hinterher weiß man ja immer mehr.
Die Familien in der EWG unterstützen sich gegenseitig. Man schmiss Geld in einen Topf, ging ordentlich einkaufen und so hatte jeder immer was davon. Die Kühlschränke bei allen Mitgliedern waren voll und wenn es irgendwem mal an irgendwas mangelte, weil irgendwas kaputt ging oder er sich gerade kein Brot leisten konnte, dann teilte man miteinander. Strom gab es auch und alle waren nett zueinander. Einige Nachbarn wurden deswegen neidisch auf den Zusammenschluss.
»Ey, können wir vielleicht auch mitmachen?«, fragten die Familien Irish, Norge, Danmark und erneut die Familie Brits.
»Hm, na gut«, sagten die Familien in der EWG, aber das Familienoberhaupt der Norges fragte vorher noch mal in der eigenen Mischpoke, ob das so okay war. Überraschenderweise sagte die aber: »Nee. Wir haben doch viel mehr Wohlstand als die. Nachher kriegen wir nicht mehr unseren guten Lachs oder so oder zahlen mehr als die anderen. Doofe Idee.«
Auch der Familienvorstand der Brits fragte noch einmal nach. Dort sagte die Sippe ausdrücklich: »Au ja!«
Selbst Familie France hatte diesmal nichts dagegen einzuwenden, obwohl die Brits verlangten, dass sie nicht ganz so viel in den gemeinsamen Topf einzahlen, wie sie eigentlich hätten sollen. Man rollte kurz mit den Augen und sagte dann: »Ja, jut, wenn ihr meint.«
Die Familie Irish hatte nicht viel zu bieten, insofern waren alle etwas skeptisch, aber im Endeffekt sagten alle in der EWG: »Ach, komm, hier haste ne Kartoffel.«
Danmark war zwar eigentlich eine kleine Familie, hatte aber ein paar Straßen weiter noch ein paar angeheiratete Angehörige, die zwar nicht zahlreich waren, aber ein riesiges Haus hatten, welches sie nicht richtig heizen konnten. Die besagte Familie, die den Namen Nunaat hatte, hielt von der großen Gemeinschaft nicht viel. Sie kamen gut alleine klar und brauchten auch nicht viel, vor allem keine Leute, die sich noch an ihrem Fisch bedienen wollten. Also verabschiedeten sie sich bald wieder und machten ihr eigenes Ding. Danmark selbst hatte aber auch genug Geld, dass der Rest der EWG sagte: »Nee, du bist cool.«
Ein paar der Familien der Hausgemeinschaft, die noch nicht beigetreten waren und vor allem im unteren Teil des Hauses wohnten, fragten nach einer Weile: »Wat is denn mit uns? Können wir auch mitmachen?«
Familie Hellas, die irgendwie mehr damit beschäftigt war Metaxa zu saufen, als irgendwas mal anständig durchzuziehen, nahm man auf, auch wenn einige der bisherigen Mitglieder dachten: »Weiß nicht, ob dein Streit mit den Türkiyes aus dem Nachbarhaus da wirklich hilft.«
Familie Espana wollte auch gerne beitreten, aber da das Familienoberhaupt seine Familie andauernd schlug, sagten die anderen Mietparteien. »Nee, du, lass ma.«
Kurz darauf, nachdem der Vater bei den Espanas den Löffel abgegeben hatte, fing die Familie an, sich zusammenzureißen, und dann ließ man sie ebenfalls mitmachen.
Familie Portuguesa holte man ebenfalls ins Boot, denn warum auch nicht. Die waren ja nett und hatten zumindest ihre eigene Familie nicht gehauen.
Kurz darauf fragten auch die Sippe der Marokkos aus dem Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite an, ob sie nicht mitmachen könnte, aber alle in der EWG schauten sich an und sagten: »Wat? Wat willst du denn? Du wohnst ja nicht mal bei uns im Haus!«
Familie Türkiye, deren Keller irgendwie mit ins Haus reichte, wurde zwar auch abgewiesen, aber man sagte ihr, dass man ja später noch mal schauen konnte.
In dieser Zeit begann es bei der Familie Sowjetskich zu krieseln. Was vorher eine große Familie war, zerbrach nun in mehrere kleinere Familien. Die alle hatten unter sich so viel miteinander zu tun, dass der Einfluss, den sie auf einige der Familien im Haus, in dem die EWG war, hatten, zerfiel. Die Familie Deutsch riss endlich die Trennwand nieder, welche die Wohnung gespalten hatte, und war nun wieder eine große Familie. Und auch ein paar andere Familien, wie z.B. Familie Polska, Eesti und Latvija mussten nun nicht mehr darauf hören, was Familie Sowjetskich zu sagen hatte.
Sicher, die Sippen der Brits und Frances wussten nicht so recht, ob Familie Deutsch jetzt wieder anfangen würde, sich bescheuert aufzuführen, aber glücklichweise blieb das aus. Familie Deutsch wollte weiter mit der EWG machen. Und noch viel mehr.
Mittlerweile dachten auch Familie Austria, Sverige und Suomi: »Mensch, Leute, wir sind dabei.«
Der Familienvorstand der Norges meinte: »Ich glaube, wir machen jetzt auch mal mit«, aber seine Familie sagte: »Nee, immer noch nicht.«
Und dann hatte man in der EWG eine tolle Idee: »Sagt mal, wat is denn, wenn wir in Zukunft alle unter uns die Türen auflassen. Dann kann jeder jeden besuchen und wir müssen nicht erst klingeln oder zur Tür gehen, wenn da jemand steht. Also quasi nur wenn jemand an der Haustür steht, muss man mal schauen, wer dit is, aber ansonsten nich.«
Und alle so: »Mensch, die Idee ist echt dufte.«
Selbst Familie Helvetia, die ansonsten alles verschlafen hatte und an nichts teilnahm, sagte: »Yo, find ick jut.« Und auch die Norges sagten: »Ja, jut, wenn wir sonst nicht mitmachen müssen …«
Nur die Irishs und die Brits sagten: »Nee, also wissen wa nich so recht.«
Der Rest im Haus sagte: »Schade, aber streiten wir uns nicht drüber. Ihr seid ja eh da draußen irgendwo unter euch.«
Schließlich sagte man sich in der EWG auch: »Also diese ganze Umrechnerei zwischen unseren Wohnungen, wer was wie bezahlt, ist auch zu kompliziert. Vielleicht sollten wir alle zusammen in einer Währung rechnen, dann macht sich das alles einfacher. Außerdem fühlen wir uns dann alle noch mehr zusammengehörig, wenn wir alle die gleiche Währung haben.«
Und alle sagten energisch: »Yo!«
Außer Familie Danmark und die Brits. Die waren der Meinung, dass ihr Geld irgendwie besser als das andere Geld wäre.
»Unsere Familie ist schon so alt und das hat Tradition bei uns«, sagten die Brits. »Also machen wir da nicht mit.«
Alle im Haus rollten etwas mit den Augen, weil die Brits schon wieder eine Extrawurst haben wollten, aber dann dachten sie: »Ja, was soll’s, die sind ein wenig merkwürdig. Wahrscheinlich liegt das an dem komischen Essen.«
Das galt wohl für beide Familien, denn die Danmarks hatten auch immer diese komische rote Wurst. Aber egal.
Nach einiger Zeit kamen noch einmal etliche Familien aus dem Haus dazu und einige andere fragten, ob sie nicht auch mitmachen könnten.
Dummerweise hatte Familie Hellas aber ein Problem. Die hatten ordentlich Geld ausgegeben, obwohl nur ein Teil der Familie wirklich etwas verdiente.
»Aber wieso? Das geht doch alles auf Kreditkarte?«, sagte Familie Hellas und die anderen Familien patschten sich an den Kopf und sagten: »Leute, aber auch das müsst ihr irgendwann bezahlen?«
»Ach so?«
»Ja, schon.«
»Manno.«
Da haben sich dann alle Familien im Haus zusammengesetzt und gesagt: »Na jut, wir werden euch etwas mit Geld aushelfen, aber dafür müsst ihr natürlich auch etwas für uns tun und dafür sorgen, dass ihr alle wieder nen Job habt, ja?«
»Sicher«, sagte Familie Hellas und trank zunächst mal einen Metaxa.
»Ernsthaft«, sagte der Rest. »Wir geben euch nix, wenn ihr nur rumsitzt und sauft.«
»Ja, okay«, sagte Familie Hellas und hörte mit dem Saufen auf.
Aber nicht alle Personen in den jeweiligen Familien im Haus fanden es toll, dass man der Familie Hellas Geld geben wollte. Manche meinten: »Ey, das Geld könnten wir auch für uns selbst ausgeben!«
»Ja«, sagten die, denen etwas an der Gemeinschaft gelegen war, »aber wir haben ja damals gesagt, dass wir uns alle gegenseitig unterstützen. Wenn wir das gleich bei der ersten Krise über Bord werfen, dann hat das Ganze ja keinen Sinn, oder?«
»Na ja, vielleicht macht das Ganze ja keinen Sinn«, sagten ein paar Personen in den jeweiligen Familien. »Unsere eigenen Familien haben ja auch Sorgen.«
»Ja, aber schaut doch mal«, sagten die, die die Gemeinschaft nicht gleich aufgeben wollten, »wir machen alles gemeinsam, sparen total viel, weil wir gemeinsam einkaufen, wenn mal was ist, greifen wir uns gegenseitig unter die Arme und gestritten haben wir uns auch ganz lange nicht mehr. Jeder kann jeden besuchen und irgendwie ist es doch so, als wären wir alle eine große Familie. Außerdem, wenn wir es mit den anderen Familien aus der Straße zu tun haben, reden die gleich ganz anders mit uns, weil sie wissen, dass wir alle zusammenstehen.«
Eigentlich waren das Argumente, die alle überzeugten, aber gerade bei den Brits gab es ein paar, die dachten: »Weiß nich, früher war alles besser.«
»Wat meinst du?«, fragten andere. »Zu der Zeit, als uns noch die ganze Straße gehört hat und wir uns wie Arschlöcher aufgeführt haben?«
»Ja, genau.«
»Ach so. Ja, hm.«
»Ich glaube, wir sollten bei diesem ganzen Quatsch nicht mehr mitmachen.«
»Aber neulich hat uns die Gemeinschaft erst ne Mikrowelle bezahlt und ein paar von den Leuten helfen bei uns in der Wohnung aus. Also, ein paar von uns Brits wissen ja nicht mal, wie man ein Pflaster klebt.«
»Aber in letzter Zeit kommen so viele Leute von außerhalb des Hauses, weil sie hier unterkommen wollen. Ich meine, deren Haus auf der anderen Straßenseite brennt, es wohnen ein paar Mörder in dem Haus, ein paar der Familien können schon untereinander nicht miteinander und wir haben denen auch noch das Essen geklaut, aber eigentlich ist es doch total super da bei denen, oder? Hier haben die doch eigentlich nichts zu suchen, richtig?«
»Mensch, die würden sogar in der Badewanne wohnen. So schlimm ist das doch nicht. Außerdem helfen die anderen Familien ja auch. Familie Deutsch hat ja auch welche unterbringen können und es nicht mal gemerkt.«
»Und wenn ich nachts schlafen will, bringen die mich bestimmt um.«
»Wat?«
»Ja.«
»Nee.«
»Na, ich weiß nicht.«
»Warum sollten die das denn tun?«
»Na, da wohnen doch Mörder bei denen im Haus.«
»Vor denen rennen sie doch aber weg.«
»Dann sind die bestimmt auch Mörder.«
»Wat? Wo ist denn da die Logik?«
»Außerdem fressen die uns den ganzen Kühlschrank leer.«
»Hast du mal in den Kühlschrank geschaut? Der ist so voll, dass wir zum Teil Zeug wegschmeißen müssen, weil wir es nicht schnell genug weggegessen kriegen. Halb so wild.«
Ein paar Jungen aus der Familie Brits, Boris und Nigel, die schon in der Vergangenheit öfter mal Mist gebaut hatten, riefen nun andauernd dazwischen: »Wir wollen raus! Wir wollen raus!«
»Kämm dir erst mal die Haare«, sagten manche aus der Familie zu Boris, aber der wollte nicht hören.
Stattdessen erfanden er und Nigel lauter Lügen, die sie in der Familie herumerzählten: »Wir schicken wöchentlich 350 Pfund unseres Geldes an die anderen Familien, dabei könnten wir uns damit Pflaster kaufen.«
»Ist doch völliger Blödsinn«, argumentierten manche, aber etliche in der Verwandtschaft, die in der Schule nie so richtig aufgepasst hatten, sagten: »Ach?«
»Wir sollten darüber abstimmen, ob wir weiter in der Gemeinschaft sein wollen oder nicht.«
»Genau! Das ist nämlich doof!«, riefen viele und andere, also die, die mal kurz darüber nachdachten, was ihnen die Gemeinschaft eigentlich brachte, sagten: »Aber wir haben ja im Grunde mehr Vorteile als Nachteile dadurch.«
»Nee, stimmt ja gar nicht. Wir könnten wieder so ein Riesenarschloch wie früher sein!«, sagten Boris und Nigel und stolperten über ihre eigenen Schnürsenkel.
Also stimmte die Familie Brits ab und es stellte sich heraus, dass die meisten von ihnen raus wollten. Das Familienoberhaupt, Papa David, sagte daraufhin: »Äh, lasst mich damit in Ruhe. Ich bin weg. Mach du das mal, Mama Theresa.«
Und Theresa sagte: »Ey, ich wollte doch aber weitermachen!«
»Ja, das kannste ja jetzt der Gemeinschaft erklären.«
Also ging sie zur Gemeinschaft und sagte: »Leute, wir machen nicht mehr bei euch mit.«
Und die anderen Familien im Haus sagten: »Ja, schade. Doof für euch, aber wenn ihr meint …«
»Wir müssten dann noch verhandeln, wie das Ganze laufen soll«, sagte Theresa.
Und die Familien sagten: »Ja, mach doch einen Vorschlag.«
Und Theresa sagte: »Ja, also eigentlich soll alles so bleiben wie bisher, aber wir zahlen einfach nix mehr.«
Und alle anderen im Haus sagten: »Du hast sie ja wohl nicht alle.«
Da meinte Theresa: »Hm, das wird ja schwieriger als gedacht.«
So nach und nach stellten einige Brits fest, dass sie die Sache mit dem Austritt nicht so recht durchdacht hatten. Familie Irish beispielsweise fragte: »Ey, wat is denn eigentlich mit dem Zimmer, das wir uns teilen? Soll es da etwa wieder so einen Streit geben, wie wir ihn vor Jahren hatten?«
»Nee«, sagte Theresa. »Das, äh, regeln wir irgendwie.«
Onkel Scott, der im nördlichsten Teil der Wohnung wohnte, gerne mal einen über den Durst trank und immer so komisch sprach, sagte »Oi! Wat is dit für’n Quatsch? Ich glaube, ich lass mich scheiden!«
»Fängst du schon wieder davon an?«, sagte der Rest der Familie.
Allerdings nahm Scott dann noch einen Schluck und schlief wieder ein.
Theresa ging also wieder zu den anderen Familien und sagte: »Leute, wat is? Es bleibt alles beim Alten und wir zahlen einfach nicht mehr, okay?«
Und die Familien sagten wieder: »Keule, ham wa doch schon jesacht: Is nich. Wenn du nicht bald mit einer tollen Idee rüberkommst, dann kommt ein Zaun um eure Wohnung und dann müsst ihr halt sehen.«
»Aber wir würden halt auch gerne billig einkaufen.«
»Ja, aber ihr wolltet ja nicht mehr.«
»Und es können doch weiterhin Leute bei uns Pflaster kleben und sich um unsere Finanzen kümmern.«
»Na ja, da müssten wir aber klären, dass das relativ unkompliziert geregelt wird.«
»Das wollen meine Leute aber nicht.«
»Tja, dann … eben nicht.«
»Und was ist jetzt mit der Schokolade und den Keksen, die es immer für alle gab? Davon gebt ihr uns doch sicher noch ab, oder?«
»Noch einmal, ihr wollten das doch nicht mehr. Also könnt ihr auch keine Schokolade und Kekse haben.«
»Manno.«
Mittlerweile merkte die Familie Brits, dass Boris und Nigel gelogen hatten, aber die kicherten nur und erzählten sich weiter Witze in der Ecke auf dem Ledersofa. Manche aus der Familie wollten ihnen zwar eine Backpfeife geben, ließen es dann aber doch.
In einigen anderen Sippen des Hauses hatte auch so manches Familienmitglied geschrien, dass die Hausgemeinschaft blöd war, aber komischerweise sagte jetzt niemand mehr etwas dagegen. Stattdessen bemitleidete man die Familie Brits irgendwie.
»Also, ihr könntet vielleicht doch von unseren Einkäufen profitieren, aber dann müsst ihr euch weiter beteiligen. Ihr könnt dann aber nicht mehr sagen, was eingekauft werden soll.«
»Das ist ja dann noch viel blöder, als es vorher schon war, oder?«
»Ja, aber ihr wolltet ja nicht mehr, also …«
Also überbrachte Theresa diese Nachricht ihrer Familie, die das ebenfalls als bescheuerter empfand, als es vorher gewesen war.
»Ja, wat wollt ihr denn sonst?«, sagte Theresa. »Im schlimmsten Fall können wir zwar einkaufen gehen, müssen aber viel mehr zahlen. Dann haben wir kein Geld mehr für Schokolade und Kekse.«
»Die waren doch vorher immer umsonst!«
»Ja, jetzt aber nicht mehr!«
»Das ist doof!«
»Ach was?«, sagte Theresa und alle schauten sie verärgert an.
»Was ist denn mit uns?«, fragten ein paar Mitglieder der Familie, die sich vorher um die Finanzen der Hausgemeinschaft gekümmert hatten. »Wenn wir nicht mehr in der Hausgemeinschaft sind, haben wir ja gar keinen Job mehr.«
»Tja«, sagte Theresa.
»Das ist doof!«
»Ach was?«, sagte Theresa und alle schauten sie verärgert an.
Und das eine Familienmitgleid, das wusste, wie man Pflaster klebt, fragte: »Sagt mal, soll ich mich hier eigentlich alleine um die Gesundheit der Familie kümmern?«
»Zunächst. Vielleicht«, sagte Theresa. »Zumindest, bis wir mit dem Rest der Hausgemeinschaft etwas verabreden könnten.«
Familie Irish fragte mittlerweile auch noch mal nach: »Wat is denn jetzt mit dem Zimmer?«
»Also, wenn wir uns nicht einigen können, dann müssen wir da wieder richtige Wände einziehen.«
»Das ist aber eigentlich immer noch unser Zimmer!«, sagte Familie Irish und nannte die Brits bekloppt.
Theresa ging wieder zur Gemeinschaft und sagte: »Also, wenn ich mal einen ganz anderen Vorschlag machen dürfte.«
»Ja, wir sind ganz Ohr.«
»Wie wäre es, wenn wir alles so machen wie bisher, nur dass wir quasi einfach unseren Mund halten und die Füße still halten.«
»Damit könnten wir leben.«
Und die Familie Brits sagte: »Ey, nee! Wir sehen ja aus wie Trottel!«
Und der Rest der Straße sagte: »Ach was?«
Daraufhin erklärte die Hausgemeinschaft es noch einmal ganz genau: »Leute, erst wollt ihr nicht mitmachen. Dann doch. Dann wollt ihr nicht bei den offenen Türen mitmachen. Dann wollt ihr nicht bei der Währung mitmachen. Dann waren da noch ein paar andere Kleinigkeiten, bei denen ihr euch geweigert habt, dabeizusein. Ihr wollt nicht helfen, ein paar Leute aus dem brennenden Haus gegenüber aufzunehmen. Ihr seid die ganze Zeit nur am Rumnölen und wollt unter euch sein. Könnt ihr haben. Wir lassen euch in Ruhe, wenn ihr das wollt. Aber wenn ihr Kuchen, Kekse und billige Einkäufe haben wollt, dann müsst ihr dafür auch was tun.«
Und wenn sie nicht gestorben sind, dann streitet Familie Brits sich bis heute darüber, was denn nun eigentlich gemacht werden soll …
Das Volk Israel lagerte am Berg Sinai und Gott sprach: »Schön, dass ihr alle kommen konntet, aber bleibt mal alle vom Berg weg, denn ich komm runter. Außer du Moses, du komm mal rauf.«
»Ich bin hundertzwanzig Jahre alt und soll einen Berg raufklettern?«
»Ja, hm, also wenn du das so sagst … aber, ja. Denn ich will mit dir unter vier Augen reden. Oder so von Dornbusch zu Augen.«
Also stieg Moses auf den Berg und keuchte nicht schlecht, als er endlich oben angekommen war.
»Na, das hat ja ganz schön gedauert«, sagte Gott.
»Hundertzwanzig Jahre, ma sagn!«, entgegnete Moses.
»Nu heul ma nich, so alt werden ja die wenigsten.«
»Wat is denn nun? Weshalb wolltest du mich sprechen.«
»Ich hab da was für dich. Und deine Leute.«
Der flammende Dornbusch, der nicht mit den Fingern zeigen konnte, weil er keine hatte, ließ eine kleine Flamme zur Seite wandern, wo ein riesiger Haufen von Steinplatten lag.
Moses runzelte die Stirn.
»Dies«, sagte der Dornbusch, »sind meine zweihundertfünzig Gebote an euch.«
Und Moses sagte: »Wat?«
»Na, so Richtlinien, an die ihr euch halten solltet.«
»Wat?«
»Was genau hast du denn davon jetzt nicht verstanden?«
»Zweihundertfünfzig? In Worten: Zweihundertfünzig?«
»Gesprochen wirkt der Witz so nicht«, sagte Gott.
»Was für Gebote sollen das denn sein?«, sagte Moses und ging sich auf seinen Stock stützend zu den Steintafeln hinüber. Er legte den Stock beiseite und nahm dann eine Tafel hoch. Darauf war genau ein Satz geschrieben und Moses machte dicke Backen, als er den Stein anhob. Gepresst las er vor: »Du sollst den Tee nur drei bis fünf Minuten ziehen lassen.«
Und der Dornbusch sagte: »Genau.«
»Was zum Teufel soll das denn?«, sagte Moses, nachdem er die Platte wieder abgelegt hatte.
»Das sind Gebote, an die man sich halten …«
»Aber das ist doch völlig unwichtiger Kram!«
»Ey, ich bin der verdammte Gott, ich werde ja wohl noch wissen, was wichtig ist und was nicht.«
»Sollte da nicht lieber was zum Thema, was weiß ich, Mord und Totschlag drin stehen?«
»Da habe ich auch irgendwo eine Platte zu. Musst du vielleicht ein wenig wühlen.«
»Und was ist mit kein Sex mit Tieren, Minderjährigen und so weiter?«
»Das hältst du für wichtig?«
»Du nicht?!«
»Ja, hm …«
Moses ließ seinen Blick schweifen. Er sah eine andere Steinplatte, deren Schrift nach oben gedreht war. »Du sollst nicht im Schwimmbad ins Wasser pinkeln. Wat?«
»Vertrau mir da einfach mal«, sagte der Dornbusch.
Moses schaute sich um. »Und was genau soll ich jetzt mit den ganzen Steinplatten machen?«
»Na, es wäre wohl sinnvoll, wenn du die runter zu den Leuten bringen würdest, oder?«
»Ich soll 250 Steinplatten einen Berg runterschleppen? Ganz allein? Hatte ich schon erwähnt, dass ich hundertzwanzig Jahre alt bin?«
»Mehrmals.«
»Also?«
»Was jetzt genau?«
»Ich kann mich kaum auf den Beinen halten und soll 250 Steinplatten schleppen?«
»Nun, von alleine werden sie wohl kaum vom Berg kommen.«
»Bist du nicht allmächtig? Kannst du nicht mit dem Finger schnippen oder mit der Zunge schnalzen oder dich dreimal um dich selbst drehen und dann sind die Platten alle unten?«
»Das klingt mir jetzt zu sehr nach Effekthascherei.«
»Ich kriege die Dinger jedenfalls nicht vom Berg runter. Vielleicht können ein paar Leute die heruntertragen.«
»Nee, hier soll keiner rauf.«
»Warum nicht?«
»Ich will nicht, dass man mich so sieht.«
»Du bist buchstäblich ein Dornbusch«, sagte Moses.
»Ja, und ungekämmt.«
Moses runzelte die Stirn, sagte aber nichts weiter. Der Dornbusch sah irgendwie nachdenklich aus. So nachdenklich ein brennender Dornbusch eben wirken kann.
»Na, da sind wir ja jetzt in einer Zwickmühle«, sagte Gott als Dornbusch.
»Kannst du vielleicht ein paar weniger Platten daraus machen? Vielleicht sind ja ein paar von den Geboten jetzt nicht ganz so wichtig wie andere. Ich meine ja nur, dass man beim Pinkeln im Schwimmbad eventuell auch mal ein Auge zudrücken könnte.«
Der Dornbusch flackerte kurz. »Was wäre denn deiner Meinung nach eine angemessene Anzahl von Geboten?«
Moses wackelte mit dem Kopf. »Also, das kommt ein wenig darauf an.«
»Auf was genau?«
»Lass es mich so ausdrücken: Muss jedes Gebot allein auf einer Steintafel stehen?«
»Ich hielt das für eine gute Idee, kann man ab und an mal ein wenig mischen.«
Moses runzelte erneut die Stirn. »Also vielleicht bekäme man ja auch, sagen wir mal, so zwölf Gebote auf eine Tafel.«
Der Dornbusch machte »Pffft.«
»Was ist denn daran das Problem?«
»Ich hab halt eine große Handschrift«, sagte Gott.
Moses kratzte sich am Kopf und legte dann seine grauen Haare wieder zurecht. »Also, ganz ehrlich: Du brauchst da einen Lektor, der das ganze Zeug zusammenstreicht.«
»Das ist doch wohl ein Witz!«, sagte Gott.
»Wie soll ich die denn schleppen? Ich hab nur zwei Hände! Und auf einen Stock stützen muss ich mich auch. Vielleicht hättest du lieber Memnon, den Ochsen von Tanis, heraufschicken sollen.«
»Hätte, hätte, Sojabulette!«
»Wat?«, sagte Moses.
»Also«, sagte Gott ruhig, »ich verstehe das Problem und sehe ein, dass es vielleicht auch mit ein paar weniger Geboten geht.«
Moses seufzte erleichtert.
»Wir gucken uns die Platten an und entscheiden dann gemeinsam, welche Gebote wir behalten.«
»Kannst du nicht einfach sagen, was das für Gebote sind? Ich kann ja schlecht die zweihundertfünzig Steinplatten anheben, um die durchzugehen?«
»Warum nicht?«
»Ich bin hundertzwanzig Jahre alt, verdammt noch mal!«
»Sehr viel älter wirst du allerdings nicht, wenn du dich immer so aufregst.«
Moses rollte mit den Augen.
»Also, ich sage mal, dass ich es vielleicht auf hundert Gebote runterbrechen kann«, sagte der Dornbusch.
»Zwanzig. Höchstens!«
»Das ist ja weniger als ein Zehntel! Das geht nun wirklich nicht.«
Moses schaute auf die Tafel, die unter dem letzten Stein lag, den er hochgehoben hatte. »Du sollst nicht schmatzen. Also … warum denn eigentlich nicht?«
»Weil das total ekelhaft klingt.«
»Aber es gibt ja wohl wichtigeres als das! Du sollst keine Sklaven halten, zum Beispiel.«
»Och …«
»Alter, du hast uns gerade aus Ägypten rausgeführt, damit wir aus der Sklaverei kommen. Also das liegt doch jetzt wirklich nahe, oder nicht?«
Und der Dornbusch sagte: »Weiß nich.«
Moses rollte mit den Augen.
Schließlich sprach Gott: »Mann, zwanzig Gebote, wie soll ich das nur anstellen?«
Und Moses sprach: »Wie wäre es, wenn du etwas kleiner schreibst. Und auf beiden Seiten. Und vielleicht nur einfachen Zeilenabstand nimmst.«
»Das sieht doch hinterher auch wieder aus, als wären da Hühner drübergelaufen. Was ist denn mit zehn Steintafeln?«
Moses verschränkte die Arme vor der Brust. »Vier. Maximal. Ich weiß ja noch nicht mal, ob ich die tragen kann.«
So saßen Gott und Moses vierzig Tage und vierzig Nächte zusammen und diskutierten, wie das jetzt mit den Geboten und Steintafeln zu machen sei.
»Also so langsam kriege ich Hunger«, sagte Moses. »Vierzig Tage ohne Essen ist schon heftig. Wann sind wir denn endlich mal fertig?«
Der Dornbusch flackerte. »Na, so eine Tafel haut sich ja nicht von selbst. Aber da drüber sind die vier Tafeln.«
Moses nahm eine hoch und machte dicken Backen. Er nahm die Zweite und stöhnte schon ein wenig mehr. Vorsichtig balancierte er beide Tafeln unter einem Arm und versuchte die dritte Tafel anzuheben, aber ohne seinen Stock hatte er Probleme.
»Ich … ich kriege nicht mal drei Tafeln auf die Arme.«
»Nun stell dich nicht so an.«
»Hundertzwanzig!«
»Ja, doch!«
»Es geht einfach nicht. Vielleicht sollten wir doch nur die ersten zehn Gebote nehmen.«
»Nee, nee, nee, nee. Ich bin dir schon erheblich entgegengekommen.«
»Ich weiß nicht, ob ich das Entgegenkommen nennen würde, wenn ich statt handlicher Tafeln aus Ton oder Holz als alter Mann mit Steintafeln einen Berg herunterklettern muss.«
»Stein ist für die Ewigkeit«, sagte Gott.
»Solange niemand mit einem Hammer ausrutscht«, erwiderte Moses.
Dann schwiegen sie.
»Also wat jetzt?«, fragte Moses.
»Du hast gesagt zwanzig Gebote!«
»Wenn du das auf zwei Steintafeln kriegst, super.«
»Nee, nee, natürlich nicht.«
»Wie ich schon sagte: Mehr als zwei kriege ich nicht vom Berg.«
»Dann gehst du halt öfter.«
»Wenn ich den ganzen Tag Steintafeln von einem Ort zum anderen hätte schleppen wollen, dann hätte ich auch gleich in Ägypten bleiben können! Zwei! Ende der Diskussion.«
»Mann ey … dann bleiben wir halt bei den ersten zehn.«
»Die behandeln überwiegend den Kram, wo es um dich geht. Meinst du nicht, dass die anderen Gebote wichtiger sind?«
»ICH BIN DER HERR, DEIN GOTT, NIMM JETZT DIE ZWEI TAFELN UND GUT IST!«
»Ja, ja. Schon gut.«
Und wer jetzt Lust bekommen hat, mir dabei zuzuschauen und zuzuhören, wie ich die Geschichte vortrage, kann das hier tun: